Eine kleine Orient-Warenkunde

Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?


Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?"mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserem Ratespiel in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln: Die ausführliche Auflösung der Fragen folgt gleich in der nächsten Ausgabe. Sie finden daher jetzt auch die Auflösung der Fragen aus der letzen Ausgabe.

Tschowal
Ein turkmenisches Taschenformat


"Tschowal' bezeichnet ein ganz bestimmtes Taschenformat bei turkmenischen Knüpferzeugnissen. Diese wurden von allen Turkmenenstämmen hergestellt und sind mit ca. 60 x 120 cm die größten der Lager- und Packtaschen. Die Tschowals wurden innen am Gestell des Zeltes aufgehängt und dienten zur Aufbewahrung von weichem Hausrat wie Kleidern oder Decken.

Die Taschen wurden als breites Band in einem Stück gewoben, halbiert und anschließend an den Außenkanten zusammengenäht. Oben bleibt eine Öffnung, die sich mit Schlingen und Bändern verschnüren lässt. Die Vorderseite ist meist geknüpft und mit Gülls geschmückt. Das Tschowal-Güll genannte Motiv hat seinen Namen daher, dass es auf Tschowals besonders häufig zu finden ist. Die Rückseite wiederum ist in Kelimtechnik gewoben und meist nur mit Streifen dekoriert.

Bei den nomadisch lebenden Turkmenenstämmen mussten alle Dinge des Haushalts verschiedene Funktionen erfüllen. Alles sollte transportabel, leicht und aus selbst produzierten Rohstoffen hergestellt sein. Da im Zelt alles sichtbar war, war der Anspruch, dass die Dinge auch besonders schön und qualitätvoll waren sowie die Fingerfertigkeit der Frauen zeigen. Das Ziel war, den Gast zu beeindrucken mit dem Glanz der verwendeten Wolle und der Leuchtkraft der Farben. Denn so ließ sich Status und Wohlstand zeigen.

Gartenmuster
Musterkonzept mit Feldereinteilung


Mit "Gartenmuster" ist ein kassettenartiges Garten- oder Feldermuster gemeint. Der Garten spielt als Motiv in persischen Teppichen eine große Rolle. Zum einen stellt man sich im Islam das Paradies als Garten vor, zum anderen bedeutet in einem kargen Landstrich wie Persien ein blühender Garten Erholung, Glückseligkeit, Wohlstand und Fruchtbarkeit. Es gibt Teppiche mit der Darstellungen von Lebensbäumen, Draufsichten auf bewässerte Gartenanlagen und eben das besonders verbreitete als Chesti oder Ghab-ghabi (Rahmen im Rahmen) bezeichnete Gartenmuster.

Die rechteckigen, quadratischen oder rautenförmigen Felder überziehen den gesamten Fond des Teppichs wie ein Gitternetz. Dieses Gitternetz kann auch aus sanft geschwungenen Begrenzungen bestehen. Die Felder sind gefüllt mit einzelnen kleinen Lebensbäumen, Sträuchern, Zypressen, Weiden, Blumen oder Tieren wie Vögel oder Hirsche. Manchmal wird nur ein Motiv in Farbvariationen wiederholt, häufig die Zypresse. Andere Teppiche zeigen abwechselnde Rapporte mit unterschiedlichsten Motiven.

Allgemein wirken diese Teppich wegen ihres Rasters und ihres kleinteiligen Musters sehr ruhig. Sie haben inneneinrichtungstechnisch den Vorteil, dass sie kein Zentrum haben.

Ein typischer persischer Gartenmuster-Teppich ist ein kräftiger Bachtiari aus der iranischen Provinz Chahar Mahal. Aber auch in Ghoum wird das Muster häufig geknüpft. Besonders weit verbreitet ist das Gartenmuster in indischen Kaschmir-Seidenteppichen

Krapp
Naturfarbstoff für Rot


Krapp oder Färberröte, botanisch Rubia tinctorum, ist eine der ältesten bekannten Färbepflanzen der Menschheit. Von der Antike bis zur Verdrängung durch sein synthetisches Äquivalent (1869 in Berlin erfunden) war Krapprot extrem weit verbreitet. Es ist ein relativ preiswertes, ziemlich lichtechtes und in der Verarbeitung unaufwendiges natürliches Färbemittel.

Kultiviert wurde die Nutzpflanze von Mitteleuropa über Süd- und Südosteuropa, Kleinasien, den Kaukasus, China, Japan, Indien, bis nach Nord- und Südamerika. Wo Krapp nicht angebaut wurde, dahin wurde es gehandelt: Selbst die Wikinger wollten dieses leuchtende Rot für ihre Kleidung.

Von der Pflanze werden nach dreijähriger Wachstumszeit nur die bis zu einen Meter langen, zum Teil fingerdicken Wurzeln gebraucht. Man trocknet und zerkleinert sie. In ihnen sind die Färbestoffe Purpurin und am allerwichtigsten das Pigment Alizarin gespeichert. Mit Krapp lassen sich die unterschiedlichsten Rottöne erzielen: Rosa, Aubergine und Braun, Violett, Blut- und Orangerot bis zum berühmten in einem langwierigen Prozess hergestellten Türkisch Rot.

Diese natürlichen Krapp-Rottöne, so intensiv sie auch leuchten mögen, wirken nie kalt oder tot. Das beste Beispiel dafür bieten die turkmenischen Knüpferzeugnisse mit ihrem unglaublich weiten Spektrum an mit Krapp gefärbten Rottönen.

Agra
Knüpfzentrum in Indien


Agra liegt in der Provinz Uttar Pradesh in Nordindien und ist bekannt durch das Taj Mahal - Indiens wohl berühmtestem historischen Bauwerk. Heute ist Agra eines der großen indischen Knüpfzentren. Hervorgegangen ist es aus der Teppichtradition des Mogulreiches (1526 bis 1858), dessen Hauptstadt Agra war. Die Blütezeit der Mogulteppichkunst im 16.- und 17. Jahrhundert begann unter der Herrschaft des von persischer Hochkultur begeisterten Kaiser Akbar. Dieser führte nicht nur die Buchkunst nach persischem Vorbild ein, sondern gründete auch Teppichmanufakturen unter Leitung persischer Knüpfer. Dieser von Akbar geförderte Einfluss gilt als stilprägend: Antike indische Teppiche werden als Variationen safawidischer Teppichkunst angesehen.

Die heutige Bedeutung Agras als Knüpfzentrum fußt auf der Kommerzialisierung unter der Kolonialherrschaft der Engländer. Sie belebten im 19. Jahrhundert die alte Tradition und errichteten Manufakturen. Vor allem Gefängnisinsassen als Arbeitskräfte schufen die großformatigen, repräsentativen Teppiche für die englischen Kolonialherren und amerikanischen Salons. Man könnte von frühen Designerteppichen sprechen, weil antike Mogulteppiche als Inspirationsquelle dienten, die Stücke aber auf westliche Ansprüche und deren Geschmack ausgerichtet wurden. Zeitgenössische Agra-Teppiche gelten als dekorativ und hochwertig. Mit großer Professionalität werden klassische Teppichstile neu für den westlichen Markt interpretiert.
aus Carpet Magazin 02/13 (Teppiche)