Arzu auf Partnersuche in Europa

Afghanische Teppiche für den Luxusmarkt

Die Non-Profit-Organisation Arzu hat Hunderten afghanischen Frauen ein festes Einkommen als Knüpferinnen verschafft. Mittlerweile entwerfen Stardesigner die Dessins. Die ehemalige Top-Managerin Connie Duckworth will mit der Initiative aber nicht nur Gutes tun, sondern auch nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben Erfolg haben. Die bisher nur in den USA vermarkteten Teppiche sollen nun auch europäische Kunden finden.

Bei Connie Duckworth bedurfte es einer ganz persönlichen Erfahrung, um unter denkbar ungünstigen Voraussetzungen eine bemerkenswerte Teppichinitiative zu starten und zum Erfolg zu führen. 2001 war die Managerin nach einer Karriere als Partnerin der Investmentbank Goldman Sachs ausgeschieden und vom US-Außenministerium damit betraut worden, Frauenprojekte in Afghanistan zu leiten. Nichts wusste Duckworth bis dato über Land und Leute und genauso wenig über internationale Hilfsprojekte. Die endlosen Meetings waren trockene Theoriekurse. Doch als Duckworth dann auf ihrem ersten Afghanistan-Besuch nach einem Gespräch mit Präsident Hamid Karzai an einem eisigen Januartag 2003 zurück zum Flughafen in Kabul gefahren wurde, erblickte sie am Wegesrand unvermittelt in einer provisorischen Unterkunft Dutzende Witwen mit kleinen Kindern - offenbar ohne jeglichen Besitz und schutzlos dem Winter ausgesetzt. Ich könnte eine von ihnen sein, durchfuhr es die Managerin, die damals vier Kinder im selben Alter hatte. So wurde es zu ihrem Gelübde, afghanische Frauen in faire Arbeitsverhältnisse zu bringen, um den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen.

Dieses eindringliche Erlebnis war der Anfang von Arzu (Afghanisch "Hoffnung"), einer Non-Profit-Organisation, die Frauen als Knüpferinnen ein sicheres Einkommen verschafft und damit ihre Stellung in Haushalt und Dorfgemeinschaft nachhaltig verbessert. Heute beschäftigt Arzu in drei Dörfern der Provinz Bamian saisonabhängig bis zu 500 Knüpferinnen. Zahlreiche weitere Initiativen - von der Herstellung von Wasserfiltern, über Gemüseanbau, bis zum Hausbau - mit mehreren hundert zusätzlichen Jobs sind im Umfeld der Initiative entstanden. Alphabetisierungskurse für Erwachsene, eine Krankenversorgung und eine mobile Geburtshilfe hat die Situation der Frauen dramatisch verbessert. Die Familien der Arzu-Knüpferinnen mussten sich dazu verpflichten, ihre Kinder zur Schule zu schicken. "Der Ausgangspunkt von allen Hilfsleistungen ist das Teppichknüpfen", erklärt Duckworth.

Es war eine ungeheure Herausforderung, an abgelegenen Orten Produkte für den Weltmarkt zu produzieren. Zuallererst mussten Knüpferinnen gefunden werden. Diese lebten verstreut in der Region, viele waren nach der Jahrtausendwende nach und nach aus Flüchtlingscamps in ihre zerstörten Dörfer zurückgekehrt. "Wir mussten schrittweise ihr Vertrauen gewinnen", erinnert sich Duckworth. "Denn die Menschen waren allzu oft im Leben enttäuscht worden." Mit 30 Knüpferinnen wurde schließlich eine Produktion gestartet. Um entsprechende Qualitätsstandards sicherzustellen, erhalten die Knüpferinnen einen leistungsabhängigen Bonus von bis zu 50 Prozent des Gehaltes. "Diese Nachricht verbreitete sich in der Region wie ein Flächenbrand und löste einen Ansturm an Bewerberinnen bei uns aus", blickt Duckworth zurück. Zuerst wurden traditionelle und nomadische Teppiche gefertigt. Mit einer erfahrenen Kreativdirektorin wurden später auch moderne Designs erstellt. Der Erfolg hat sich schnell eingestellt: Mittlerweile haben Arzu-Teppiche zahlreiche renommierte Branchenpreise gewonnen.

Oberstes Ziel von Arzu ist Nachhaltigkeit, daher wird nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien gearbeitet. Das bedeutet: Die Teppiche müssen marktfähig sein. Duckworth ließ ihre Kontakte spielen und gewann berühmte Designer für die Arzu-Teppiche, wie etwa den Architekten Frank Gehry. Das Portfolio ist auf einen Luxus-Nischenmarkt ausgerichtet. Trotz allem, war es ein langer, lehrreicher Weg, marktfähige Teppiche zu produzieren. In schmerzhafter Erinnerung geblieben ist der erste Besuch bei Minasian Rugs, einem exklusiven Händler in Chicago, der heute die Arzu-Teppiche in den USA vertreibt. Stolz packte Duckworth ihre erste Lieferung aus. "Das ist Müll!" sagte deren Chef Carnig Minasian nach einem kurzen Blick über die Schulter. "Möchten Sie sich die Teppiche nicht etwas näher ansehen?", fragte die ehemalige Bankerin. "Nein, das sehe ich von hier", blieb das finale Urteil. Im Nachhinein ist diese Episode ein Segen in der Geschichte der Organisation, denn sie war eine Mahnung an den eigenen Anspruch: Arzu-Teppiche sollen sich nicht verkaufen, weil sie nach ethischen Standards produziert werden, sondern weil sie hochwertige Handwerksprodukte sind. Ganz verzichten auf die Kommunikation der guten Taten will die Organisation dennoch nicht: Jeder Arzu-Teppich lässt sich auf Knüpfstuhl und Knüpferin zurückverfolgen, und so liegt jedem Produkt eine Karte bei, die die persönliche Situation der Knüpferin vor und nach Arzu beschreibt.

Arzu arbeitet nach strengen wirtschaftlichen Prinzipien: Alle 55 Mitarbeiter vor Ort sind lokale Kräfte, es müssen daher keine hohen Gehälter für Expatriates und deren Sicherheitskräfte bezahlt werden. In den USA erledigen ganze vier Mitarbeiter Marketing, Lagerung, Logistik und Buchhaltung. Heute besteht der größte Anteil der Produktion aus Auftragsarbeiten, denn eine zu extensive Lagerhaltung bindet zu viel Kapital. Um jeden verfügbaren Cent in Afghanistan zu investieren, spart sich Arzu teure Messeauftritte. Nun sollen die Arzu-Teppiche auch jenseits des Atlantiks Käufer finden: Die Organisation sucht deshalb einen Vertriebspartner in Europa. "Wir müssen keine Zehntausende Teppiche verkaufen, um profitabel zu werden", resümiert Duckworth. "Aber ein paar hundert mehr müssten es schon sein."
aus Carpet Magazin 01/14 (Teppiche)