Eine kleine Orient-Warenkunde

Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?


Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?"mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserem Ratespiel in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln: Die ausführliche Auflösung der Fragen folgt gleich in der nächsten Ausgabe. Sie finden daher jetzt auch die Auflösung der Fragen aus der letzen Ausgabe.

Sattelteppich: Für die Verwendung auf einem Pferd angefertigter Teppich


In allen großen Reiterkulturen kamen irgendwann Sattelteppiche auf. Zum einen dienten sie der Bequemlichkeit der Reiter, zum anderen dem Schutz des Pferderückens vor dem scheuernden Sattel oder einfach dem menschlichen Bedürfnis zu prunken. Schon auf dem ältesten bekannten Knüpfteppich der Welt - dem berühmten Pasyryk-Teppich - wurden Reiter zu Pferde auf fransenbehangenen Sattelteppichen dargestellt. 1947 wurde dieser in einem skythischen Grab im Altaigebirge entdeckt. Er ist C-14 datiert auf das vierte oder fünfte Jahrhundert vor Christus.

Sattelteppiche gibt es in den unterschiedlichsten Ausführungen. Schabracke nennt man die Wärme- oder Prunkauflage, die das Pferd schmückt, wenn es nicht geritten wird. Liegt der Sattelteppich direkt auf dem Pferderücken und wird unter oder ohne Sattel benutzt, nennt man ihn korrekt Sattelunterteppich. Besonderer Wert wurde in diesem Fall auf Ausführung und Form der sichtbaren Flächen beidseits der Pferdeflanken gelegt. Es gibt Schmetterlings-, Rechtecks- und runde Formen. Die Teppiche können flachgewebt sein, geknüpft, broschiert oder mit Postamenten und Fransen behangen. Von nomadischer Archaik bis zu höfischer Eleganz reicht das Spektrum der Ausstrahlung. Dann gibt es noch die Auflagen, die zwischen Reiter und Sattel lagen. Oft waren das einfach kleine rechteckige Teppiche, manchmal mit abgerundeten Ecken. Komplette Sets sind extrem selten.

Besonders aus Tibet kommen viele antike Sattelteppiche, weil sich dort die Reitertradition wegen der schlechten Straßen bis in unsere Tage erhalten hat. Wunderschön sind auch die sehr feinen Sattelteppiche der Perser und Turkmenen. Dem Sammler von Sattelteppichen bietet sich der Vorteil des Variantenreichtums und der handhabbaren Größe. Da Sattelteppiche heute keine Gebrauchgegenstände mehr darstellen, also nur schön und selten sind, liegen die Preise häufig im Bereich des Erschwinglichen.


Gerus: Nordwestpersische Teppichprovenienz


Die sogenannten Gerus-Teppiche sind genauer betrachtet eine von Kurden geknüpfte Untergruppe der Bidjar-Teppiche. Bidjar ist eine Stadt auf einer Hochebene im Nordwesten des Iran, der umgebende Bezirk heißt Gerus.

Gerus-Teppiche zeichnen sich, wie alle Bidjar-Teppiche, durch ihre Härte und Strapazierbarkeit aus. Sie haben einen hohen, festen Flor. Angeblich schlugen männliche Knüpfer die Schüsse und symmetrischen Knoten so kraftvoll an, dass der Griff brettig wurde und sich die Teppiche deswegen nicht mehr falten lassen. Sie werden gerollt mit dem Flor nach außen transportiert und sind noch dazu sehr schwer. Der Flor besteht aus Schurwolle, Kette und Schuss ab dem 20. Jahrhundert aus Baumwolle.

Häufig haben Gerus-Teppiche einen dunkelblauen Fond. Das Feldmuster kann ein großes Rautenmedaillon, ein Herati- oder auch das Minah-Khani-Design sein. Das Motiv ist allerdings nicht wirklich ein Kriterium zur Identifikation, weil alle mögliche Muster verwendet werden, sondern die Härte im Griff.

Bei älteren Teppichen wird das Label Gerus besonders den etwas freier gestalteten Stücken mit mehr Abrasch angeheftet. Es wird angenommen, dass die in Heimarbeit hergestellten Stücke der Landbevölkerung des Gerus-Bezirks nicht so exakt ausgeführt wurden wie die Produkte der städtischen Werkstätten aus Bidjar selbst. Außerdem gibt es ein spezielles Gerus-Design, welches vor allem bei größeren Formaten zu finden ist: Das Innenfeld des Teppichs ist gleichmäßig mit bizarren Ranken überzogen. Bei Sammlern hochbegehrt sind antike Wagirehs mit Gerus-Arabesken.


Sultanahmed: Istanbuler Altstadt mit Teppichbazar


Für jeden Teppichliebhaber ist Sultanahmed das Herz Istanbuls. Es liegt auf der Landspitze zwischen Goldenem Horn und Marmarameer. Bei Bauarbeiten stößt man hier immer wieder auf die Überreste Konstantinopels, auf dessen Mauern dieses Altstadtviertel errichtet wurde. Es trägt den Namen von Sultan Ahmed I, der eine Moschee gleichen Namens im Jahr 1609 in Auftrag gab. Sie wurde 1616 fertig gestellt und ist uns im Westen wegen ihres reichhaltigen Mauerschmucks an blau-weißen Kacheln als Blaue Moschee bekannt. Im Schatten der Blauen Moschee liegt der kleine schöne Arasta Bazar mit seinen etwa 40 Läden, darunter berühmte Teppichgeschäfte - ein besonderer Reise-Tipp. Der wichtigste Anziehungspunkt dürfte jedoch der Große Bazar oder Kapali Çarsi (Überdachter Bazar) sein, der in seinem Gassenlabyrinth auf 20.000 qm angeblich um die 4.000 Geschäfte beherbergt. Besonders interessant ist hier natürlich die Halici Sokagi, die Teppichhändlerstraße. Noch heute ist die uralte Shopping Mall der Inbegriff eines orientalischen Bazars schlechthin. Mit Adleraugen gilt es, aus unglaublichen Mengen von Touristenware die echten Sammlerstücke herauszupicken. Zeit und Verhandlungsgeschick können hier immer wieder zu erstaunlichen Glücksfunden führen.

Nicht weit liegen der Topkap-Palast, das Archäologische Museum, die Hagia Sophia und die unterirdischen Zisternen. Der Topkapi-Palast, der osmanische Herrschersitz, ist heute ein Museum für feinste islamische Kunst. Darunter sind die Textilien der Sultane mit ihren kostbaren Stickereien der Glanzpunkt. Für das leibliche Wohl sorgt das Viertel mit köstlichem türkischen Essen, Hamams und Hotels. Hier kann ein Teppichfreund wirklich gut verweilen.

Kufi-Bordüre: Bordüre im Stil der Kufi-Schrift


Die Kufi-Schrift ist ein alter arabischer Schriftstil mit einem sehr eigenen Charakter. Sie wurde in der heute im Irak gelegenen Stadt Kufa entwickelt. Diese Schönschrift wirkt steil und geometrisch und eignete sich hervorragend für Ornamentbänder in der Architektur und auf Miniaturmalereien. Gerade wegen ihres geometrischen Aufbaus ließ sie sich leicht in das Knotenraster von Knüpfteppichen übertragen. Der Schriftstil ist vorislamisch, wurde aber vom 10. bis 12. Jahrhundert die Hauptschrift für den Koran. Die Kalligrafen erfanden eigene Schriftbilder für Wörter wie Allah, Mohammed oder Ali.

Im Deutschen wird die Kufi-Bordüre auch Flechtband-Bordüre genannt, weil sie für den westlichen Betrachter nur noch ein Ornament und keine erkennbare Schrift darstellt. Sie ist zumeist eine Hauptbordüre. Besonders von niederländischen (z. B. Holbein) und italienischen (z. B. Lotto) Tafelmalereien haben sich Teppiche mit Kufi-Bordüren überliefert. Eine Hoch-Zeit begann im 15. Jahrhundert, also zur Zeit der Renaissance.

Den Höhepunkt erreichte die Kufi-Mode im 16. Jahrhundert, um dann fast zu verschwinden. Wie aus dem Nichts tauchte die Kufi-Bordüre auf kaukasischen Teppichen des ausgehenden 19. Jahrhunderts wieder auf. Bis ins 20. Jahrhundert, wohl unter dem Einfluss westlichen Geschmacks, hielt sich das Bordürenelement in der Schirwan-Region um Baku.
aus Carpet Magazin 01/14 (Teppiche)