FHR-Gründer Kurt Reichelt zur Zukunft des Teppichbodens

"Der Kunde muss verführt werden"


Es steht derzeit nicht gut um den Teppichboden in Deutschland. Das weiß auch Kurt Reichel, der seit 50 Jahren in der Branche aktiv ist und 1976 die Einkaufsgemeinschaft FHR Fachhandelsring gegründet hat. Er ist für seine klaren Worte bekannt. Jetzt äußert er sich zu den Gründen für den Nachfragerückgang und den Zukunftsaussichten des textilen Bodenbelags.

Kurt Reichelt über ...

... die Verantwortung der Teppichboden-Industrie für den Absatzrückgang

Forciert durch die Massenproduktion hat die Industrie jahrelang einen Preiswettbewerb auf allen Handelsebenen ausgelöst. Masse vor Klasse. Diese Tatsache führte logischerweise zu einer generellen Produktentwertung bis zur persönlichen Verachtung dieses schönen Bodenbelages. Jede noch so kleine Infragestellung wurde zur weiteren, emotionalen Produktminderung ausgeschlachtet. Beispiel: Die Teppichbodenphobie der Ärzte und entsprechende Empfehlungen für Allergiker.

Die Antwort der Industrie auf vielerlei Angriffe von außen auf das Produkt war Uneinigkeit. Eine koordinierte Aktion zum Werterhalt blieb aus, trotz vielfältiger Bemühungen der ETG. So war der Weg frei für die Discounter und Filialisten, das Produkt mehr und mehr als günstige Massenware anzubieten.

... die Rolle des Großhandels

Der Großhandel hat sich einerseits bemüht, über seine gut sortierten und emotional aufbereiteten Teppichboden-Kollektionen zur Wertstabilität beizutragen, andererseits über die Objektnachfragen einen fast ruinösen Verdrängungswettbewerb zur täglichen Praxis gemacht. Objektpreise unter dem Abgabepreis der Industrie wurden zur Normalität. Dies führte bei den Verarbeitern zu einem Preiswettbewerb, durch den auch die handwerklichen Dienstleistungen entwertet wurden.

Aktuell überträgt sich diese Vorgehensweise der regionalen Großhandelsniederlassungen auf nahezu alle Produktgattungen des Bodenbelages. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, die Kunden darüber aufzuklären, wie man auch heute noch Geld verdienen kann - und die entsprechende Unterstützung auch selbst zu praktizieren. Das fängt schon bei den Verhandlungen mit der Industrie an. Der letzte Euro oder Cent finanziert immer schon die eigene Beerdigung mit. Wir benötigen am Markt starke Industriepartner und keine Hungerleider, die wir selbst dazu gemacht haben.

... das Verhalten von Handel und Handwerk

Durch den Angebotsdruck von Industrie, Großhandel und Manipulanten haben der Fachhandel und das Bodenhandwerk die Räume für neue Produktgattungen wie LVT frei gemacht. Dies ist, neben dem attraktiven Preis, auch der eigenen Bequemlichkeit geschuldet. Das Sortiment an Laminat und LVT (quadratisch, praktisch, gut) ist sowohl in der Lagerhaltung als auch in der Verarbeitung eine bequeme Sache. Das Handling und der Transport von schweren Rollen konnte reduziert werden. Zur Verarbeitung von Plankenware kann auch mal nur ein einzelner Verleger geschickt werden.

Die Präsentation von Teppichboden wurde sträflich vernachlässigt. Man wollte das bequemere Arbeiten und hat doch am Ende sehr viele Renditemöglichkeiten verloren.

... die Preispolitik der Discouter und Filialisten

Die Marktschiene der Discounter und Filialisten bindet zwar weiterhin federführend das Angebot der Rollenware an sich, hat aber jahrelang durch Dumping mit Verkaufspreisen ab 2,50 EUR/m2 für "Qualitätsware" massiv zum Preisverfall von textilen Bodenbelägen beigetragen.

Heute präsentiert man auch im hochwertigen Preisbereich und schließt sich marktübergreifenden Imagekampagnen an. Aber die selbst initiierte Mengenreduzierung kann nicht wieder gut gemacht werden. Eine Bevorteilung um jeden Preis steht im ersten Fokus. Was schert mich mein Wort oder meine Strategie von gestern?!

... die Vorlieben einzelner Verbraucher-Generationen

Der Endverbraucher findet den Teppichboden als angenehmes, exklusives Produkt nach wie vor toll. Leider nur in Hotels oder auf Kreuzfahrtschiffen, aber nicht bei sich zuhause. Außerdem gibt es Unterschiede je nach Altersgruppe:

Die Jungen (bis 35 Jahre) sind geprägt durch Technik, Rationalität, Beschleunigung und praktische Lösungen. Dies wird auch im persönlichen Wohnbereich so umgesetzt (siehe Ikea und Co.). Auf den Boden gebracht: Handliche Pakete werden gekauft und möglichst selbst verarbeitet. Der Boden ist eine modische Abdeckung, die möglichst wenig Pflege verursachen soll.

Die Generation zwischen 35 und 50 Jahren ist noch geprägt vom Bodenerlebnis "schmutziger Teppichboden" in der Studentenwohnung, in Pensionen, Hotels und Fachgeschäften der 70er und 80er Jahre. Auch dieser Käufer tendiert mehr und mehr zum praktischen Boden mit einfachen Pflegeeigenschaften.

Die 50- bis 75-Jährigen "stehen" nach wie vor auf den Gehkomforts und sehen den Teppichboden als erstrebenswertes Gut. Hierbei spielen auch die Argumente Rutschfestigkeit und Schalldämmung eine besondere Rolle. Die weiterhin guten Umsätze der Hochwert-Produzenten und -Anbieter wie Girloon, Tretford und Vorwerk sprechen für sich.

... Möglichkeiten, den Teppichboden für jüngere Käuferschichten wieder attraktiv zu machen

Informations- und Imageaussagen wie "Pro Gehcomfort" (FHR) und "Teppich & Du" (Copa) tragen sicherlich im Ansatz dazu bei, dem Produkt wieder ein positives, modisches Image zu geben. Die Anwendung am PoS wird aber, wie leider schon vielfältig erlebt, sehr zu Wünschen übrig lassen. Unsere Branche besteht aus Einzelkämpfern mit dem Drang der Selbstverwirklichung. Diese wollen selbst entscheiden, was richtig oder falsch, gut oder schlecht (fürs eigene Unternehmen) ist. Eine Werbeaktivität für die Gemeinschaft/die Branche wird den eigenen Interessen weit hinten angestellt - leider.

Es wäre notwendig, neue Räume der Kundenansprache zu schaffen. Der Teppichboden benötigt emotionale Signale, zumal er diese per se in hoher Anzahl besitzt. Der Kunde muss unter anderem durch Farbwelten und die Wirkung von Fußboden-Installationen verführt werden. Mit den Koffer-Orgien von Industrie, Großhandel und Kooperationen ist es nicht getan. Ergänzende, emotional ansprechende Ausmusterungsformen sind heute ein Muss. Auch die Ergänzung um den Service des konfektionierten Teppichs in Standard- und Wunschmaßen rückt den Teppichboden in ein neues Licht.

Wir benötigen Unternehmen/Unternehmer mit einem kreativen Anspruch, die neben der Schwemme von Holz- und Fliesenoptiken auch wieder Farbe in ihre Präsentation bringen. Auch bedarf es einer qualifizierten Darstellung/Vermittlung der handwerklichen Dienstleistung, um den Komfortbelag Teppichboden dort zu empfehlen, wo er das bessere Produkt ist.

... die aktuelle Situation im Objektgeschäft

Hier teilt sich die Fußbodenwelt in praktische Vorteile wie Gehkomfort und Schalldämmung sowie soziale Notwendigkeiten vom Wohnungsbau bis zum Vorstandsbüro. Durch die vielerorts vermittelte Reduzierung von Pflegekosten durch Hartbeläge rückt der Teppichboden in die Kategorie "anspruchsvoll und pflegeintensiv". Egal, ob das tatsächlich so ist oder nicht.

In Objekten, die mit Wohlfühlcharakter und Gehkomfort gleichgesetzt werden, ist und bleibt der Teppichboden die erste Wahl. Die kommenden Generationen der Entscheider müssen allerdings immer wieder und immer stärker über die Vorteile des textilen Bodens aufgeklärt werden.

... die Notwendigkeit, gemeinsam Visionen zu entwickeln

Die wichtigste unternehmerische Herausforderung wird es sein, Zukunftsstrategien zu entwickeln, die sowohl ökonomische als auch soziale Ziele (Mitverantwortung für die Gesellschaft und Umwelt) verfolgen und vereinen. Die Umwandlung von wissenden Autoritäten in hilfreiche Leitbilder muss eingeleitet werden. Die "Jungen" sollten sich die Erfahrungen der "Alten" im Sinne des Gesamterfolges zu Nutzen machen.

Gerade mit Blick auf Angebots- und Nachfragestruktur muss man sich den neuen Formen der Kommunikation über die neuen Medien anpassen, ohne die bewährten Werte gänzlich abzuschneiden. Es gibt keine bezahlbaren Freiräume mehr für verengte Perspektiven. Visionäre sind gefragt. Alles ist möglich! Dies verunsichert die eine Fraktion und beflügelt andere, die Chance zu nutzen, um lukrative Nischen zu besetzen. Ein zielgerichtetes Gruppenmarketing für aktive Mitspieler wird eine Überlebensstrategie werden; sei es durch Angebot der Industrie für Zielkunden oder auch durch die Kooperationen an ihre Mitglieder.

... die Rabattschlachten der Filialisten und Discounter

Hier wird ein Verdrängungswettbewerb nicht mit Leistung, sondern mit Entwertungsschlachten durchgeführt. Ohne Not wird die vorhandene Menge der Bodenfläche fortlaufend durch Rabattschlachten abgedeckt.

Wenn Einkäufer als sogenannte Bestpreis-Nachfrager ihre Existenzberechtigung finden und die Unternehmerschaft dies noch fördert, muss man von einem Schrottmarkt sprechen, da Werte herabgesetzt werden. Wenn bei Preisverhandlungen schon im Vorfeld die Reduzierung des UVP eingefordert wird, dann ist die Entwertung Vorsatz.

Mehr Verantwortung für wirtschaftliche Vorgänge und ein föderales Verhalten dem Lieferanten und dem eigenen Unternehmen gegenüber, wäre ein Stabilisator für den Rest des freien Marktes.

... die Aktion "Teppich & Du"

Der Ansatz stimmt. Um Absatzrisiken zu verteilen sollten, wir immer eine Balance der einzelnen Produktgruppen in Fußbodenbereich anstreben. Lediglich die Durchführung war unprofessionell. Es gibt nur einen Gewinner und das ist die Werbeagentur, der Rest hat nur bezahlt.

Dies ist zu wenig und sollte in Zukunft über einen Branchenbeirat bestehend aus Großhandel und Verbundgruppen plus Filialisten im Vorfeld festgelegt werden. Es wird wieder eine teure Idee von Profilnasen zu Grabe getragen. Schade.

... die Zukunftsperspektiven für den Teppichboden

Der Teppichboden als Traumboden aller Verbraucher wird sich im Wohnbereich erholen, speziell im oberen Preisssegment. In den Einstiegs- und Konsumpreislagen wird der Hartboden in all seinen Varianten von Parkett über Laminat bis zu CV und LVT ein starker Wettbewerber bleiben.

Unabhängig von allen Bemühungen wird die Menge der zu verlegenden Quadratmeter nicht unbedingt größer. Was an der einen Stelle wächst, reduziert sich an einer anderen. Die Wertigkeit von Bodenbelägen muss generell stärker transportiert und die "Abdeckung" nicht emotionslos mit Füßen getreten werden. Der Teppichboden ist ein wichtiges Komfortprodukt, das auch aus Eigeninteresse für die Renditesicherung des Handels stark in den Fokus gesetzt werden muss.

Je nach Vorgabe der Nutzung findet jeder Boden seinen Kunden. Die Vorzüge müssen aber auch vom Verkäufer gekannt und - emotional verpackt - transportiert werden. Wenn die Branche mehr an einem Strang zieht und die gegenseitige Befruchtung dem eiskalten Wettbewerb vorzieht, sollte es uns gelingen, für alle Produktsparten des Bodens eine auskömmliche Absatzstruktur auszubauen.
aus BTH Heimtex 03/14 (Wirtschaft)