Decorex London

Fundgrube für Individualisten

Der Spagat zwischen Tradition und Avantgarde ist der Londoner Decorex auch in diesem Jahr gelungen. Auf der Messe zeigten etablierte Firmen und ganz neue Anbieter Kollektionen, die jenseits des Mainstreams sowohl die Liebhaber britischer Klassiker als auch junge Hipster begeistern.

Größer als je zuvor ist die diesjährige Londoner Decorex Ende September über die Bühne gegangen. Mit mehr als 400 Ausstellern und 12.300 Besuchern war sie der krönende Abschluss eines jährlich wiederkehrenden Spektakels, dem London Design Festival.

Zwei Wochen lang stand die Millionenmetropole ganz im Zeichen von Interior Design. Angefangen mit der "100 % Design" auf dem Messegelände Earl’s Court über die Schauen großer, traditioneller Anbieter in zahlreichen Showrooms im "Chelsea Harbour Design Centre" und in der Stadt bis zu jungen Labels und Start-ups im angesagten East End Shoreditch und den "Big Brands" in der Old Truman Brewery. Und schließlich die Decorex, die nach wechselnden Locations an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt war, den historischen Syon Park.

Der liegt weit ab vom Zentrum im Südwesten der Stadt. Aber auch von der etwas umständlichen Anfahrt dorthin ließen sich die Besucher nicht abschrecken. Bereits am Morgen des ersten Messetags drängten sich Einkäufer, Interior Designer und Ausstatter in dem riesigen weißen Zelt. Syon House, erst Kloster, dann Gefängnis von Catherine Howard, fünfter Frau von Heinrich VIII., 1594 schließlich erworben vom Earl of Northumberland und seither in Familienbesitz, bot eine prächtige Kulisse für die Veranstaltung. Hier gelang, was den Reiz der englischen Hauptstadt seit jeher ausmacht: Man beherrscht mühelos den Spagat zwischen Tradition und Avantgarde. So präsentierten sich auch hier im lockeren Nebeneinander Klassiker und Newcomer.

British Classics


Zum Beispiel John Boyd Textiles. Seit nunmehr 177 Jahren fertigt das Unternehmen Bezugsstoffe aus Rosshaar und ist damit eines der letzten seiner Art weltweit. Die Kette ist aus Baumwolle oder Seide, mit hochwertigem Schweifhaar im Schuss. Auf dem kleinen, feinen Stand zeigte John Boyd die neueste Farbrange mit verschiedenen Grüntönen, Marine und Pink. Das äußerst strapazierfähige Material wird eingesetzt für Wandverkleidungen, Lampenschirme und vor allem Möbelbezugsstoffe. Man arbeitet mit internationalen Kunden in Europa und den USA. Auch im Objektbereich weiß man die haltbaren Stoffe zu schätzen. "Rosshaar ist feuerfest und somit ideal für Hotels oder Restaurants", heißt es bei dem Traditionsunternehmen. Das Hotel Adlon in Berlin beispielsweise ist mit John Boyd-Textilien ausgestattet.

James Hare, seit 1865 spezialisiert auf luxuriöse Dekostoffe aus Seide sowie Seidentapeten, lancierte auf der Decorex zwei neue Kollektionen in modernem Design und in frischen Farben - Dekostoffe mit passenden Kissen.

Ein weiterer Klassiker ist Watts of Westminster. Mittlerweile in der fünften Generation in Familienbesitz, fertigt man seit über 140 Jahren handgedruckte Tapeten sowie Posamenten. Während der Messe konnten die Besucher den Prozess des Handdrucks bei einer beeindruckenden Demonstration live miterleben.

Ein Erstaussteller war Andrew Martin. In der Intrerior-Szene bekannt seit den frühen 1970er Jahren durch seinen unkonventionellen, ethnisch anmutenden Laden im Londoner Stadtteil South Kensington und seine zahlreichen Interior-Bildbände. Zum Portfolio gehören Möbel, Tapeten, Dekostoffe und Wohnaccessoires. "Wir haben uns wirklich in allerletzter Minute entschlossen, hier teilzunehmen. Deshalb können wir bei weitem nicht alles zeigen, was wir anbieten", erklärte Export Account Manager Ross Mitchell den im Vergleich zu diesem Angebot eher kleinen, bescheidenen Auftritt. Aber die stimmungsvolle Präsentation in typischer Andrew Martin Manier machte definitiv neugierig auf mehr.

Young Generation


Begeistert von der Messe war man bei Zardi & Zardi. "Kaum zu glauben, dass schon fast vier Tage vorüber sind und wir wieder ein Jahr warten müssen", sagte Managing Director PJ Keeling. Das Unternehmen startete vor zehn Jahren mit der Reproduktion klassischer Gobelins, gedruckt auf hochwertigem belgischen Leinen. Dank Digitaldruck ist mittlerweile alles machbar, sogar die Reproduktion alter Gemälde. "Die Kombination modernster Technik mit historischen Motiven ist perfekt für alle, die etwas Außergewöhnliches suchen. Man kann unsere Stoffe vielseitig verwenden, als Wandbehänge, Vorhänge, ja sogar als Möbelbezugsstoffe", erklärte Keeling.

"This fair is brilliant", lautete die Bilanz von Juliet Travers. Sie hatte ihr Debut mit zauberhaften Tapeten bei der Decorex 2013. Die Resonanz war so groß, dass sie jetzt auch passende Dekostoffe und Kissen anbietet. Alle Tapeten werden nach ihren Zeichnungen mit Gravurtechnik bedruckt und wirken wie handgemalt.

Auch Ali und Paul - Alistair McCauley und Paul Simmons - mit ihrem Unternehmen Timorous Beasties haben wir vor einem Jahr hier kennengelernt. Sie beeindruckten mit außergewöhnlichen Tapeten und Toiles - "unsere französischen Klassiker with a twist". In diesem Jahr zeigten sie neue Wandpanele. "Unsere Golden Oriole Panele schafften es unter die Top Ten der Decorex Editors Picks", hieß es voller Stolz. Zu den Kunden des Unternehmens zählen mittlerweile Claridges, die Intercontinental Hotel Group und Hilton Waldorf Astoria.

Margo Selby wagte vor etwa zehn Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit, nachdem sie Erfahrungen in britischen Webereien sammeln konnte. Sie kreiert und produziert Dekostoffe, Kissen und Bettüberwürfe in reichhaltigen Jacquard-Musterungen und ausdrucksstarken Farben. Die außergewöhnlichen dreidimensionalen Stoffe sind mittlerweile ihr Markenzeichen. Darüber hinaus entwirft sie auch erfolgreich Teppiche für Alternative Flooring.

Ein junges Start-up ist Blackpop. Maxine Hall lancierte ihre erste eigene Tapeten-Kollektion vor knapp einem Jahr. Opulente, leicht verwaschene Muster im Vintage-Look, "mit einem Hauch Dekadenz der Bohemiens", wie sie sagt.

Der Preis für den besten Messestand wurde Eley Kishimoto verliehen. Das britisch-japanische Ehepaar Mark Eley und Wakako Kishimoto präsentierte seine aktuelle Tapetenkollektion. Zum Portfolio gehören außerdem Möbel und Möbelstoffe, Glas und Porzellan sowie eine DOB-Kollektion. Ihre Maxime lautet: "Print the World". Sogar das Standpersonal war im Design der Tapeten gekleidet, so dass man nicht wusste, wo hört die Person auf, wo fängt die Wand an. Eine originelle Idee - der Messestand als Vexierbild.

Wer sich abheben will vom Mainstream, wer individuelle kleine Labels oder etwas Extravagantes sucht, der wird auf dieser Messe mit Sicherheit fündig. Die nächste Decorex findet statt vom 20. bis 23. September 2015.
Ilona Schulz
aus BTH Heimtex 12/14 (Wirtschaft)