Jaipur Rugs

Alte Strukturen durchbrechen, neue Designs knüpfen

Die Knüpfteppiche der Linien Project Error und Chaos Theory liegen in Lofts, Altbauwohnungen, Stadt- und Landhäusern auf der ganzen Welt. An der Elite-Universität Harvard diskutiert man das sozial orientierte Geschäftsmodell des Gründers: Der indische Teppichproduzent Jaipur Rugs ist ein Vorzeigebeispiel in Sachen Kreativität und soziales Engagement.

Ein Teppich erinnert an eine alte Tapete, die durch die Wandfarbe hindurchschimmert. Ein anderer zeigt putzähnliche Strukturen, deren scheinbare Willkür ein harmonisches Gesamtbild ergibt. Ein drittes Design lässt Bäume wie aus einer verblichenen Schwarzweiß-Fotografie auf dem dicht geknüpften Flor erscheinen. Die Produkte sind ungewöhnlich: Während zahlreiche indische Teppichhersteller gefragte Entwürfe angesagter Designer billig nachknüpfen lassen, hat Jaipur eine eigene Sprache entwickelt. Mit sehr individuellen und durchdachten Kollektionen, die kleine Geschichten erzählen und in der hauseigenen Designabteilung entstehen. Entwickelt von kreativen Designerinnen, allen voran Kavita Chaudhary, Tochter des Unternehmensgründers. Handgeknüpft aus Materialien wie Wolle, Viskose und Seide. Und begleitet von einem sehr anspruchsvollen Marketing: Der Katalog ist auf dickem Papier gedruckt und äußerst stimmungsvoll gestaltet, die Anzeigen sind wunderschön fotografiert und inszeniert. Sehr modern und sehr wertig präsentiert sich Jaipur nach außen.

Alte Denkstrukturen durch frische Ideen ersetzen


Auch aus sozial-wirtschaftlicher Sicht bricht Jaipur Rugs mit Altbekanntem und Gewohntem. Visionär, Geschäftsmann mit goldenem Herzen, der Gandhi der Teppichknüpfer - so wurde der Unternehmensgründer bereits genannt. Die Rede ist von Nand Kishore Chaudhary. Der indische Sozialunternehmer bricht mit alten Denkstrukturen und festgefahrenen Gewohnheiten. Zum Beispiel mit der gängigen Praktik, Frauen für die gleiche Arbeit geringer zu bezahlen als Männer. Ihnen keine Führungspositionen zu übertragen. "Unberührbare" nicht als Teppichknüpfer zu beschäftigen. Chaudhary bricht auch mit der gängigen Praktik, gefragte Designs hochpreisiger Anbieter in Indien billig nachzuknüpfen. Mit ihren jungen Fusion-Entwürfen wagt die Jaipur-Designabteilung Neues und zitiert dabei alte Traditionen. Sehr wohnlich und erfolgreich.

Ein frauenstarkes Unternehmen


Jaipur Rugs ist in vielerlei Hinsicht ein Vorzeigeunternehmen: Rund 40.000 Knüpferinnen und Knüpfer arbeiten für den sozial orientierten Teppichhersteller. Der Frauenanteil liegt bei rund 60%, in den meisten Jaipur-Knüpfgebieten sogar über 70%. Damit steht Jaipur Rugs im Vergleich zu den meisten anderen Produzenten besonders frauenstark da.

Und weil Chaudhary seinen Töchtern die gleichen Rechte und Chancen ermöglichen wollte, die auch für indische Männer gelten, zog er mit seiner Familie weg von seinem ursprünglichen Wohnort - einem sehr traditionell geprägten Gebiet, wo Frauen wie Bürger zweiter Klasse behandelt wurden. Gleichzeitig fasste er den Entschluss, diese Denkstrukturen zu durchbrechen und Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen zu nehmen. Indem er als Arbeitgeber anders handelte als andere.

Diese Entscheidung hat auch das Leben zahlreicher Knüpferinnen in ganz Indien nachhaltig geprägt. Nicht zuletzt beeinflusste sie das Leben seiner Töchter: Kavita Chaudhary studierte an der School of Art in Chicago und ist heute Chefdesignerin bei Jaipur Rugs. Und Asha Chaudhary leitet die amerikanische Vertriebsniederlassung in Atlanta, Georgia. Auch die Jaipur-Marketingleitung liegt in den Händen einer kompetenten Frau: Sitara Menon.

Jaipur Rugs zeichnet sich aus durch Fairness den Knüpferinnen und Knüpfern gegenüber, die über sechs indische Staaten verteilt arbeiten: Mehr als 90% davon stammen laut Jaipur aus sozialen Randgruppen, sind also beispielsweise "Unberührbare". Zwar gilt das Kastensystem in Indien seit Gründung der Republik 1947 offiziell als abgeschafft, trotzdem spielt es vor allem in ländlichen Gegenden nach wie vor eine große Rolle.

Faire Arbeitsbedingungen ohne Zwischenhändler


Jaipur-Knüpferinnen und -Knüpfer sind selbstständig tätig und profitieren von fairen Arbeitsbedingungen und ebensolchen Löhnen. Und von dem direkten Kontakt zum Auftraggeber: Das Unternehmen arbeitet ohne Zwischenhändler, die in der indischen Teppichknüpfbranche gang und gäbe waren und es zum Teil noch sind. Und die meist den Löwenanteil der Knüpflöhne für ihre Tätigkeit als Verwalter einstrichen.

An dieser Praktik wollte Nand Kishore Chaudhary schon lange etwas ändern: Im Rahmen des sozialwirtschaftlichen Modells von Jaipur Rugs baute er eine internationale Lieferkette auf, die den Knüpferinnen und Knüpfern in den ländlichen Gebieten ein zuverlässiges Einkommen garantierte und sie direkt mit den Weltmärkten in Verbindung setzt. "Bei uns sind die Knüpfer keine reinen Arbeiter, sondern auch Unternehmer und damit Handelspartner", heißt es. Das Modell wird sogar an der renommierten Harvard-Universität als Vorbild diskutiert.

Jaipur-Angestellte verwalten und organisieren den Knüpfprozess vor Ort. Von ihnen erhalten die Knüpfer leicht verständliche Mustervorlagen, die keiner weiteren Erklärung bedürfen. So kann Jaipur sehr flexibel und schnell Prototypen neuer Designs fertigen lassen und damit ebenso schnell in Serie gehen. Für seine Knüpfer - und solche, die es werden wollen - hat Chaudhary die Jaipur Rugs-Foundation eingerichtet (siehe Kasten). Dort werden die Bewohner von Dorfgemeinschaften ausgebildet, gefördert und unterstützt.

Jaipur Rugs - die Kollektionen


Kissen. Decken. Sitzkissen. Und natürlich Teppiche, Teppiche und noch mal Teppiche. Vom Handtuft-Teppich aus Wolle über Flachgewebe bis zum edlen Handknüpf-Designerstück. Das Angebot von Jaipur Rugs verfügt über eine abendfüllende Breite und Tiefe. Hochwertiges Herzstück ist die handgeknüpfte Design Collection aus Materialien wie Wolle, Viskose und Seide. In der Jaipur-eigenen Abteilung entwerfen Designerinnen wie Kavita Chaudhary und Jenny Jones markante Kollektionen mit Charakter und Aussage, die sich harmonisch in moderne Interieurs einfügen.

In beliebten Standardgrößen hat Jaipur Rugs die Teppiche oft vorrätig, besondere Wünsche werden auf Bestellung angefertigt. Vier aktuelle Linien stellen wir hier exemplarisch vor.

Project Error by Kavi


Wenn die Natur der Technik ins Handwerk pfuscht, entstehen oft besonders schöne Dinge. "Happy Accidents" nennt Chefdesignerin Kavita Chaudhary (kurz: Kavi) die Teppiche der Linie Project Error aus Wolle mit Viskose.

Eines der Designs wirkt, als wäre eine nicht vollständig eingefärbte Farbwalze über eine Stoffbahn gerollt. Ein anderes erinnert in seiner Pixeligkeit an ein zu dicht herangezoomtes Foto. Ein weiterer Teppich zeigt drei anfangs in sich verschobene Musterstreifen, die sich erst am Ende zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen: als wären die drei Knüpferinnen, die an dem Stück gearbeitet haben, erst gegen Ende miteinander in Einklang gekommen.

Chaos Theory by Kavi


Spontaneität, mutige Experimente, den Dingen ihren Lauf lassen. Was zunächst chaotisch erscheint, fügt sich auf natürliche Weise zu einem harmonischen Gesamtbild zusammen. In klassischen Farben und mit natürlichen Materialien wie handkardierter, handversponnener Wolle und Viskose. Die fein geknüpften Teppichbilder zeigen die unterschiedlichsten Gesichter des schönen Chaos: Ton-in-Ton-Dessins, die an Rorschach-Tests erinnern. An gefleckte Schlangenhäute oder an Blumen im Asphalt. Die leicht erhabenen Strukturen der Dessins wurden sorgfältig per Hand konturiert.

Sterling by Kavi


Edle Seide und Wolle wechseln sich auf den Zeichnungen der Serie Sterling ab: Die traditionsreichen Muster persischer Klassiker wie Ziegler, Tabris oder Isfahan erscheinen in silbergrauen Tönen - zum Teil mit sanftem Konturenschnitt. Das Licht- und Schattenspiel im Mondlicht hat Kavi zu dieser Kollektion inspiriert.

Lacuna by Kavi


Es ist das Finishing, das die Teppiche der Kollektion Lacuna zu etwas Besonderem macht: Lacuna ist das lateinische Wort für "Lücke". Mit der gleichnamigen Kollektion überbrückt Kavi die Lücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart und holt alte, fein geknüpfte Dessins farblich ins Hier und Jetzt. Die Teppiche aus Wolle und Seide werden in modernen Tönen eingefärbt, der Flor wird zum Teil "oxidiert", also bis auf das Gewebe heruntergebrannt. Die Technik ergibt einen sehr modernen Vintage-Look. Zum Beispiel in Petrol, Gold, Magenta, Aqua oder Weidengrün. Erst wirkt die Farbe, dann entdeckt man das fein gezeichnete Muster. Und kein Dessin gleicht dem anderen. Die Teppiche werden nach Kundenwunsch eingefärbt.


Die Jaipur Rugs Foundation


Nand Kishore Chaudhary gründete die Jaipur Rugs Foundation 2004 mit dem Ziel, unterprivilegierte Menschen in den ländlichen Gebieten Indiens zu unterstützen und gleichzeitig neue, kompetente Knüpferinnen und Knüpfer zu rekrutieren. Teilnehmer lernen zum einen grundlegende Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Zum anderen erhalten sie eine Berufsausbildung als qualifizierte Knüpfer. Das gibt ihnen die Möglichkeit, mit einer regelmäßigen Tätigkeit das ganze Jahr über ihren Lebensunterhalt zu verdienen - statt als Saisonarbeiter immer wieder woanders Arbeit suchen zu müssen.

Die Jaipur Rugs Foundation fördert insbesondere Frauen und bietet ihnen ein regelmäßiges Einkommen. Die Knüpftätigkeit bietet sich dafür besonders an. Schließlich stellt sie keine hohen Voraussetzungen an Infrastruktur und Umfeld, sie kann von zu Hause aus auch als Nebentätigkeit zu flexiblen Zeiten durchgeführt werden.

Jaipur Rugs bringt das Material an die Knüpforte und holt die fertigen Teppiche ab. So brauchen die Knüpfer ihren Heimatort nicht zu verlassen und bleiben gleichzeitig mit Jaipur im Kontakt. Und da Jaipur grundsätzlich keine Zwischenhändler einschaltet, sondern direkt mit den Knüpfern arbeitet, kann das Unternehmen sie auch besser bezahlen.

Darüber hinaus veranstaltet Jaipur sogenannte Health Camps für die gesundheitliche Versorgung und fördert die Infrastruktur in den ländlichen Gebieten.
aus Carpet Magazin 02/15 (Wirtschaft)