Hagebau Report 2015 sieht deutsche Bauwirtschaft im Wandel

Wie "Werkstattlose" das Handwerk verändern


Eine steigende Zahl werkstattloser Handwerker gilt als starke Konkurrenz für das traditionelle Handwerk, aber auch als Herausforderung für Industrie und Handel, die ihre Produkte an den Fachmann bringen wollen. Die Menge dieser Kleinbetriebe hat sich in zehn Jahren nahezu verdoppelt. Ihr Marktvolumen soll bis 2020 auf rund 20 Mrd. EUR steigen. Das hat eine repräsentative Studie im Auftrag der Hagebau ermittelt. Befragt wurden nur bei den Kammern angemeldete Betriebe.

Der in Berlin vorgestellte Hagebau Report 2015 gibt erstmals Antworten auf die Entwicklung des werkstattlosen Handwerks. Im Wettbewerb mit dem traditionellen Handwerk haben sich diese in der Studie als mobile Generalisten bezeichneten Kleinstbetriebe fest etabliert. Für ihre wachsende Bedeutung werden vor allem drei Gründe genannt: Die Änderung der Handwerksordnung 2004, die EU-Osterweiterung und der Trend weg vom "Do-it-yourself" hin zu "Do-it-for-me".

Waren es im Jahr 2005 noch 70.000 Betriebe, so stieg die Zahl werkstattloser Handwerker im Jahr 2014 auf 120.000. Sie machen damit inzwischen 25 % aller Betriebe aus, aber aufgrund geringer Mitarbeiterzahlen nur 10 % aller beschäftigten Bauhandwerker. 63 % der mobilen Generalisten sind Ein-Mann-Betriebe, 19 % arbeiten zu zweit. Die Hälfte der mobilen Generalisten hat zudem einen ausländischen Hintergrund. Allerdings hat sich der Zuzug vor allem aus Polen etwas abgeschwächt. Marktforscher Martin Langen: "Für manche ist das Generalistentum nur eine Sondierungs- und Übergangsphase zu einem traditionellen Handwerk. Mit entsprechend modernen Angeboten könnten sogar die Innungen diese Leute erreichen."

Bedeutende Auftraggeber kommen aus der älter werdenden Gesellschaft mit kapitalstarken Doppelverdienern und wenigen Kindern. Die größten Zielgruppen bilden dabei die 52 bis 60-Jährigen sowie die 28 bis 35-Jährigen. Diese Verbraucher renovieren nicht mehr selbst, sondern sind Auftraggeber der werkstattlosen Handwerker.

"Bei Privatkunden werden die Leistungen mobiler Generalisten für Renovierungen und Sanierungen stark nachgefragt", so Hartmut Goldboom, Geschäftsführer Hagebau Fachhandel. Während das traditionelle Handwerk nur zu 30,6 % beim Endkunden arbeitet und vermehrt im Neubau und Objektgeschäft tätig ist, wird der mobile Generalist zu 43,2 % vom Privatkunden angefordert. Die werkstattlosen Betriebe gelten als flexibel, bieten mehrere Gewerke aus einer Hand an und setzen Nebenaufträge vergleichsweise unkompliziert um. Vor allem aber leben sie von der Mundpropaganda. 93 % der Befragten gaben an, Empfehlungen seien für sie das wichtigste Werbeinstrument. Die aber bekommt man nur, wenn gute Arbeit abgeliefert wird. Mit anderen Worten: Kundenzufriedenheit ist ein hohes Ziel der mobilen Generalisten.

Ideale Marktlage für die "Kleinen"


Diese unspezifischen Handwerker sind längst nicht mehr als simpler Hausmeisterservice einzustufen. Sie sind auch keine Schwarzarbeiter, zudem fachlich qualifiziert, arbeiten oft in Netzwerken und treffen hierzulande auf ein ideales Umfeld. Viele sind als Fliesenleger angemeldet, kommen aber aus den unterschiedlichsten Ausbildungen und stoßen in das Vakuum weiterer Renovierungsbereiche, die das traditionelle Handwerk liegen lässt. Und es gibt viel zu tun. Von den 41 Mio. Wohneinheiten im Land sind 75 % älter als 20 Jahre. Der Verbraucher lässt seine Sanierung immer häufiger durch professionelle Handwerker erledigen, oft durch werkstattlose Spezialisten. Seit 2010 wächst dieser Anteil gegenüber den Selbermachern.

Markenprodukte helfen den Werkstattlosen


Ein weiteres Ergebnis der Studie betrifft die Warenbeschaffung. Die werkstattlosen Handwerker bevorzugen Markenware, weil sie ihnen Sicherheit verspricht. Einem alteingesessenen Handwerksbetrieb traut der Verbraucher die gewünschte Leistung automatisch zu, der Werkstattlose dagegen muss sich zum Teil über Markenprodukte definieren. Martin Langen: "Das gibt dem Verbraucher Sicherheit." Damit erhält die Markenpositionierung im Fachhandel zusätzliche Bedeutung. Interessant ist hier, dass der Handwerker zwar berät, das Produkt jedoch zu 46 % vom Auftraggeber eingekauft wird.

Hartmut Goldboom: "Unsere Erkenntnis aus der Studie heißt, dass mobile Handwerker beim Verbraucher akzeptiert werden. Die polare Situation, die wir im Baubereich mit Neubau und Sanierung vorfinden, muss unser Handeln bestimmen. Im Modernisierungsmarkt sehen wir die Generalisten als unsere Hauptzielgruppe. In der Einkaufsthematik müssen wir uns daran orientieren, dass Material eben nicht nur vom Handwerker, sondern auch vom Auftraggeber gekauft wird." Damit der Fachhandel den mobilen Generalisten aber ansprechen und beraten kann, muss er ihm den Einstieg erleichtern. Oft verfügt der kleine Handwerker nicht über ein angelegtes Konto beim Fachhandel. Die Finanzierung des Materials kann ein Problem sein. Und auch lange Öffnungszeiten im Handel sind für ihn wichtig, weil er tagsüber auf der Baustelle ist. Eine Alternative könnte der Einkauf über die Online-Schiene mit frühmorgens kommissioniertem Material sein.

Neue Stammkunden gewinnen


Mobile Generalisten, so sieht es die Hagebau, sind kein vorübergehendes Phänomen, sondern nachhaltige Marktteilnehmer. Die Wachstumsprognose gründet unter anderem darauf, dass die Betriebe im Vergleich zum traditionellen Handwerk eine optimale Kostenstruktur aufweisen. Sie müssen keine Verwaltungskosten oder Abschreibungen auf Gebäude und Maschinen in ihre Kalkulation einbeziehen und werden insbesondere bei Montagearbeiten weiter Marktanteile gewinnen. Sie sind überwiegend in Ballungsräumen und Großstädten aktiv, sind laut Studie nicht im Preiseinstiegsbereich unterwegs und verändern den Innenausbau weg vom Selbermachen hin zu einer Professionalisierung.

Will der Fachhandel diese Handwerker akquirieren, braucht er ihre mobilen Telefonnummern, denn anders ist diese Klientel kaum zu erreichen. Wenn der werkstattlose Handwerker finanziell dazu in der Lage ist, übernimmt er den Materialeinkauf für seinen Kunden. Zu 54 % ist dies der Fall. Die Untersuchung hat ergeben, dass er dabei wiederum zu 54 % im Fachhandel, zu 29 % im Baustoffhandel und zu 16 % im Baumarkt einkauft. Damit kann ein werkstattloser Handwerker gerade im Fachhandel über die Zeit zum begehrten Stammkunden werden.


Über die Studie
Die von Hagebau in Auftrag gegebene Strukturanalyse wurde von B+L Marktdaten auf Basis einer repräsentativen Stichprobe von Dezember 2014 bis Februar 2015 telefonisch durchgeführt. Befragt wurden 177 werkstattlose und 139 traditionelle Handwerker. Ziel der Befragung war es, Erkenntnisse über die betrieblichen Strukturen, das Leistungsspektrum sowie die Tätigkeiten zu gewinnen. Außerdem standen Material- und Informationsbeschaffung, Einkaufsverhalten, Auftrags- und Entscheidungsstrukturen sowie Bedürfnisse und Trends im Fokus.


Wer ist der "mobile Generalist"?
Definition:
Ausübung von mindestens drei Gewerken;
keine Werkstatt;
weniger als fünf Mitarbeiter;
mobile Erreichbarkeit;
Abgrenzung vom traditionellen Handwerker

Anzahl der Betriebe 2014:
120.000 (2005: 70.000)

Durchschnittliche Betriebsgröße:
1,6 Mitarbeiter (63 % haben einen, 19 % zwei, 10 % drei, 6 % vier und 2 % fünf Mitarbeiter)

Umsatzvolumen 2014:
14,7 Mrd. EUR (5,1 % des deutschen Bauvolumens)

Marktanteil:
25,5 %

Auftraggeber:
43 % Privatkunden aus dem Bereich Renovierung und Sanierung
aus Parkett Magazin 01/16 (Wirtschaft)