Heimtextil – Cornelia Küsel berichtet über die Tapetentrends

Suche nach neuen Absatzmärkten

Die leichten Zuwächse der Tapetenindustrie in Deutschland reichen nicht aus, um den Einbruch in Russland auszugleichen. Hierzulande sollen es Prominente richten und zusätzliche Zielgruppen erobern. Neue Konkurrenz kommt aus dem Ausland. |

Ein hoher Promifaktor ist in der deutschen Tapetenindustrie keine Ausnahmeerscheinung. Schillernde Bekanntheiten wie Dieter Bohlen, Barbara Becker und Harald Glööckler haben schon in den vergangenen Jahren mit eigenen Kollektionen Werbung für die Wandbekleidung gemacht. In diesem Jahr wurde der illustre Kreis noch erweitert: Pop-Sängerin Nena setzt ihre Kreativität für Marburger ein, der Modeschöpfer und Moderator Guido Maria Kretschmer löst Bohlen ab und entwirft für P+S, Barbara Becker stellt bereits ihre fünfte Kollektion für Rasch vor. Kein Wunden, dass die Tapetenhalle zeitweise wieder zum Publikumsmagneten wurde.

Doch die Promidichte täuscht nicht darüber hinweg, dass spektakuläre Dessins im Sortiment der Aussteller fehlen, bei deren Anblick man hätte "wow" ausrufen wollen. Handwerklich lassen die Wandbeläge nichts zu wünschen übrig, die Mehrheit überzeugt durch hohe Qualität. Aber optisch fehlt es an Krachern. Angesichts des dramatischen Umsatzrückgangs in Russland und der Ukraine bei einem bestenfalls leichten Plus vieler Hersteller auf dem deutschen Markt gehen die Unternehmen auf Nummer sicher und servieren verkäufliche Produkte. Vorbei die Zeiten, als die Werke des Wiener Künstlers Thomas Zeitlberger, der Architektin Zaha Hadid und der Designerin Annet van Egmond bewundernde Blicke auf sich zogen. Heute steht häufig Bodenständigkeit vor Originalität und künstlerischem Ausdruck, die Freude am Experimentieren weicht angesichts der beunruhigenden Zahlen nüchternen Geschäftsstrategien.

Die Masse im Visier

Der Modeschöpfer Guido Maria Kretschmer hob dann auch deutlich hervor, dass seine für P+S entworfene Kollektion "Fashion for Walls" die breite Massen ansprechen soll. Für jeden Typ und Geschmack sei etwas dabei. Spezieller sind dagegen die Tapeten von Nena, auf denen an Retro erinnernde Muster in teils kräftigen und schrillen Farben zu sehen sind. Marburg zeigt hier ohne Zweifel den Mut zu unkonventionellen Dessins und will damit neue Käuferschichten auf dem deutschen Markt ansprechen.

Aber wie P+S mit Kretschmer und zuvor Bohlen verfolgt Marburg das Ziel, mit der über alle Generationen hinweg beliebten Nena die Tapete ganz allgemein zum Gesprächsthema zu machen und den Endverbraucher wieder für das Produkt zu begeistern. Mit ihrem abendlichen Konzert vor rund 500 geladenen Gästen sei zudem die Botschaft ausgesendet worden: "Jetzt erst recht", sagte der für Marketing und Vertrieb zuständige Marburg-Geschäftsführer Wolf Kappen.

Damit gehen die Kirchhainer beherzt ein elementares Problem der Branche an. Sie wirft zwar jedes Jahr zahlreiche Kollektionen auf den Markt, aber der Endverbraucher merkt davon nur wenig. Christian Schmitz, Inhaber der Verlage Schmitz, Essener und Tescoha, appelliert deshalb an die Hersteller, die Produktion zu reduzieren und der Nachfrage anzupassen. Über diesen Weg lässt sich allerdings nur eine Teillösung erreichen.

Hoffnungsschimmer für den Verband

In stark umkämpften deutschen Markt muss es derzeit eher darum gehen, das Interesse an der Tapete als Einrichtungselement zu fördern und weitere Nachfrage zu generieren. Dafür fehlt es im stationären Handel jedoch an Werbung und oft an Leidenschaft für das dekorative Produkt. Die will A.S. Création nun wecken und gründete dafür die Tapetenakademie, in der unter anderem Verkäufer zum Fachberater Tapete ausgebildet werden. "Mit diesem Angebot soll der stationäre Handel gestärkt werden", betonte Vorstandsmitglied Roland Bantel. Er verwies darauf, dass der Verbraucher im Laden Sachkenntnis erwarte und damit kompetente Beratung. Wer das im Fachgeschäft nicht biete, verliere die Kundschaft - zum Nachteil der Tapete.

Testimonials, verkäufliche Kollektionen, Tapetenakademie - es sind also viele Stellschrauben, an denen die deutschen Anbieter drehen, um ihre Geschäfte anzukurbeln. Eines haben sie aber immer noch nicht hinbekommen: Die Stärkung des Verbands der Deutschen Tapeten-Industrie (VDI). Nach wie vor wartet die Branche darauf, dass Marktführer A.S. Création und Erismann zurückkehren und die Querelen in Folge des Kartellverfahrens beigelegt werden. Derzeit gibt es allerdings nur zarte positive Signale. VDT-Geschäftsführer Karsten Brandt sprach davon, dass wichtige Hürden für eine Rückkehr genommen seien. Damit gibt es immerhin einen Hoffnungsschimmer, dass sich die Unternehmen zusammenraufen und gemeinsam dafür kämpfen, den Tapetenabsatz zu erhöhen.

Vereinte Anstrengungen sind nötig, denn die Herausforderungen der Zukunft sind groß. So hat der Ölpreisverfall nicht nur positive Auswirkungen. Zwar stärkt er die Kaufkraft im Inland, schadet aber der exportorientierten Industrie - zu der die deutschen Tapetenhersteller mit einer Ausfuhrquote von 60 bis 70 % zählen. Ihre größten Märkte waren nach Deutschland bisher Russland und die GUS-Staaten. Doch durch die starke Abhängigkeit Russlands vom Ölpreis, dem volatilen Rubelkurs und die Sanktionen in Folge der Ukraine-Krise ist die Tapetennachfrage in der Region nahezu zum Erliegen gekommen. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Erschwerend hinzu kommen die neuen Schutzzölle auf Tapeten in der Türkei.

Ausländische Anbieter zieht es nach Deutschland

Lichtblicke gibt es für die Tapetenhersteller lediglich in Deutschland, wo aufgrund günstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen im vergangenen Jahr teilweise sogar Umsatzzuwächse zu verzeichnen waren. Die reichen aber für die Kompensation nicht aus. In ihrer Not suchen die Unternehmen deshalb nach neuen Absatzmärkten. Im Iran und den arabischen Staaten "tut sich etwas", sagte Erismann-Geschäftsführer Martin Slotty. Dario Rasch, Geschäftsführer der Tapetenfabrik Rasch, erwartet positive Impulse in Asien und Südamerika. Insgesamt aber hält er die Entwicklung nicht für dramatisch. Krisen habe es schon immer gegeben, darauf müsse entsprechend reagiert werden.

Die Strukturanpassungen infolge der Umsatzrückgänge fallen verschieden aus. Während manche deutsche Hersteller, aber auch ausländische Anbieter, ihr Vertriebspersonal aufgestockt haben, will Marburg nach Angaben von Wolf Kappen einige Arbeitsplätze sozialverträglich abbauen.

Angesichts der hierzulande guten Rahmenbedingungen haben mittlerweile ausländische Anbieter Deutschland für sich entdeckt. Die beiden niederländischen Firmen Eijffinger und BN Wallcoverings verstärken in der Bundesrepublik ihre Vertriebsaktivitäten ebenso wie der chinesische Hersteller Topli und die Südkoreaner von DID. Das Unternehmen hat Ende 2014 die europäische Abteilung Design ID Europe im niederländischen Zoetermeer gegründet, um näher am europäischen und insbesondere deutschen Markt zu sein.

Steffel-Übernahme positiv aufgenommen

Als gut für die Branche wurde auf den Ständen und in den Gängen die Übernahme der Großhandelsgruppe Steffel durch Brüder Schlau eingestuft. Die Geschäfte seien damit in solide Hände übergegangen, meinte Christian Schmitz. Schlimmer wäre es gewesen, wenn ein Unternehmen ohne Faible für die Tapete den Berliner Grossisten erstanden hätte.

Zufrieden zeigte sich die überwiegende Mehrheit mit den neuen Öffnungszeiten der Heimtextil. Sie öffnete ihre Pforten von Dienstag bis Freitag statt von Mittwoch bis Sonnabend. Dadurch seien zwar nicht mehr Besucher in die Tapetenhalle gekommen, aber die Gespräche seien entspannter gewesen, weil sie sich auf alle Messetage verteilt hätten. In den Jahren zuvor habe sich dagegen alles auf Mittwoch bis Freitag konzentriert, am Sonnabend habe dann gähnende Leere geherrscht. Die neuen Öffnungszeiten lägen im Trend, denn das Wochenende wünschten sich sowohl die Unternehmensinhaber als auch die Beschäftigen frei.

Alles in allem war die Stimmung verhalten optimistisch, auch wenn viele Firmen den osteuropäischen Markt jedenfalls auf mittlere Sicht abgeschrieben haben. Mit verschiedenen Maßnahmen versuchen sie, sich gegen die Verluste zu stemmen. Sie richten ihr Augenmerk auf mögliche neue Absatzmärkte, wollen den stationären Fachhandel in Deutschland stärken und die Tapete mehr in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Angst muss man um die Branche also nicht haben, die deutschen Hersteller werden sich auch in der Absatzkrise bewähren. Einen Hinweis darauf gab es bei der Messe: Alle wichtigen Kunden seien gekommen, hieß es.
aus BTH Heimtex 02/16 (Wirtschaft)