Eine kleine Orient-Warenkunde

Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?


Es ist zwar schön, wenn man auf die Frage "Sind Sie ein Orientteppich-Kenner?" mit "Ja" antworten kann. Doch alles kann niemand wissen. Vieles muss auch der versierte Fachmann nachschlagen. Mit unserem Ratespiel in diesem Heft möchten wir Ihnen Fachwissen auf eine unterhaltsame Weise vermitteln: Die ausführliche Auflösung der Fragen folgt gleich in der nächsten Ausgabe. Sie finden daher jetzt auch die Auflösung der Fragen aus der letzen Ausgabe.

Tschelaberd - Provenienz des "Adler-Kasak"
Zu den prägnantesten Mustern bei den kaukasischen Teppichen zählt ganz bestimmt das der als "Adler-Kasak" bekannt gewordenen Provenienz Tschelaberd. Wichtig zu wissen: Der Begriff Kasak sollte korrekterweise nur für Teppiche aus dem Kasak-Gebiet im südlichen Kaukasus stehen. Der Teppichhandel ist gern großzügiger bei der Verwendung des Namens und bezeichnet meist alle Teppiche des Kaukasus als Kasak. Schon George Baker schreibt in seinem Teppich-Verkaufskatalog aus dem Jahr 1880, dass die Adler-Kasaks "von den Tartaren aus der Provinz Kasak" geknüpft seien.

Der Kaukasus, im heutigen Aserbaidschan gelegen, ist eine Region mit zahlreichen Volksstämmen und einer sehr bewegten Geschichte samt unzähliger Kriege. Diese Umstände hatten und haben natürlich auch einen Einfluss auf die Teppichproduktion vor Ort. Ihre Blüte erreichte die kaukasische Knüpfkunst im 19. Jahrhundert, besonders um die Jahrhundertwende wurde sehr viel für den Export in den Westen geknüpft. Mit der Eingliederung in die Sowjetunion kam es in den 1920er-Jahren zu einem abrupten Ende der traditionellen Teppichproduktion. Heute werden in Aserbaidschan praktisch keine Teppiche hergestellt, die in den Handel gelangen. Die Teppiche, die heute als Kasak in den Handel kommen, sind fast immer Teppiche, die in Afghanistan oder Pakistan geknüpft wurden und deren Muster sich an den antiken Vorbildern des gesamten Kaukasus-Gebiets orientieren.

Der ursprüngliche Teppich, den wir als Adler-Kasak kennen, kommt paradoxerweise gar nicht aus der Region Kasak, sondern aus dem Karabagh-Gebiet. Dieses ist in viele Unterprovenienzen eingeteilt, deren berühmteste Tschelaberd ist. Der aserbaidschanische Teppichforscher Kerimov sagte übrigens, dass die korrekte Schreibweise des Namens Tschelabi sei, was sich aber in der Teppichliteratur nicht durchgesetzt hat. Die Bezeichnung Adler-Kasak wurde vom Handel eingeführt, hat aber keinen Bezug auf die kaukasische Mustertradition. Das dominante weiße Medaillon des Tschelaberd sieht mit viel Phantasie für westliche Augen dem russischen doppelköpfigen Adler ähnlich, beziehungsweise einem Adler mit ausgebreiteten Schwingen. So bedeutungsvoll Adler in der Heraldik sein mögen, zeigt der Teppich tatsächlich stark stilisierte Blütenmotive, die sich nach Charles Grant Ellis aus dem fernöstlichen und zentralasiatischen Wolkenkragen-Muster entwickelt haben. Am verbreitetsten bei den Tschelaberd-Teppichen sind Exemplare mit zwei solchen "Adler"-Medaillons oder mit einem ganzen Medaillon und zwei halben Blüten-Mustern.


Arts and Crafts - Britische Kunstbewegung
Arts and Crafts war eine sehr einflussreiche Kunst- und Designbewegung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie hatte ihren Höhepunkt in Großbritannien ab etwa 1880 und breitete sich bis ins kontinentale Europa und auch nach Amerika aus. Arts and Crafts hat ihren Ursprung in der Gegenbewegung zur voranschreitenden Industrialisierung. Künstler, Architekten und Handwerker sahen Qualität und ästhetischen Anspruch aufgrund der Massenproduktion verloren gehen. Man begann neue Ansätze bei der Gestaltung zu suchen und umzusetzen. Besonders groß waren die Einflüsse auf die Architektur und Innengestaltung, wie das Möbel- und Textildesign.

Untrennbar mit der Arts-and-Crafts-Bewegung verbunden ist der Designer William Morris. Er begann sein Schaffen in einem Architekturbüro, entdeckte aber sehr schnell seine Passion für Inneneinrichtungen wie Möbel, Tapeten und Glasgemälde. In den 1870er-Jahren begann Morris mit der Produktion von Teppichen. Er stellte im Londoner Vorort Hammersmith Webstühle auf, an denen Frauen Teppiche knüpften. Es war übrigens auch William Morris, der für das Londoner Victoria & Albert Museum im Jahr 1892 den berühmten Ardebil-Teppich begutachtete und es anschließend drängte, diesen bedeutenden Teppich aus dem 16. Jahrhundert zu kaufen, war er doch von "einzigartiger Perfektion und folglich wunderschön." Er selber besaß einen der besten Kirman Vasen-Teppiche, den er für seine Entwurfsarbeiten untersuchte und der nach seinem Tod 1896 ebenfalls vom Victoria & Albert Museum erworben wurde.

Die Arts-and-Crafts-Bewegung beeinflusste stark den Jugendstil und die Art Nouveau. Selbst heute kommen Stoffe, Tapeten und Teppiche auf den Markt, deren Muster von Morris inspiriert sind und die mit ihrer weichen Kolorierung und den grafisch-floralen Mustern noch immer eine moderne Ausstrahlung haben.


Fuchsin - Synthetischer Farbstoff für Rot
Fuchsin gehört zu den ersten synthetisch hergestellten Farbstoffen, die für das Färben von Knüpfgarnen verwendet wurden. Entwickelt wurde das Fuchsin in London von dem Chemiker August Wilhelm von Hofmann, in dessen Labor schon zwei Jahre vorher mit Mauvein der erste Anilin-Farbstoff synthetisiert wurde. Mauvein wurde von von Hofmanns Schüler Perkin, zufällig entdeckt, den er mit der Aufgabe betraut hatte, Chinin zu synthetisieren.

Fuchsin hat -wie alle Anilin-Farbstoffe -den Vorteil, leuchtende Farben zu liefern und auch sehr einfach in der Anwendung zu sein. Brüggemann und Böhmer beschreiben die Fuchsin-Färbung als "zunächst brillant blaurot, ähnlich einer Cochenillefärbung." Diese Eigenschaften sorgten für eine sehr schnelle Verbreitung. Schon in den 1860er-Jahren wurde Fuchsin in den Teppichursprungsländern eingesetzt. Erst in der Benutzung fiel auf, dass die Anilin-Farbstoffe nicht lichtecht waren, also schnell verblassten, und ausserdem bei der Wäsche leicht ausbluteten.

Die schnelle Verbreitung dieser neu entwickelten Farbstoffe begründet sich auch auf der massiv gestiegenen Nachfrage nach Orientteppichen. Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie erst in Europa und kurz darauf in Amerika sehr populär. Man setzte die Anilin-Farbstoffe ein, um diese neuen Märkte schnell und preisgünstig versorgen zu können.

Die negativen Eigenschaften sprachen sich schnell herum. In den Ursprungsländern, in denen kräftig-leuchtende Farben sehr beliebt waren, wurden mit Anilin-Farbstoffen gefärbte Teppiche kaum noch verkauft. Auch in Europa nahm die Nachfrage nach den schnell verblassenden Teppichen spürbar ab. In der Folge gab es in Persien ab den 1890er-Jahren scharfe Bestimmungen, die den Einsatz von Anilin-Farbstoffen betrafen, ab 1900 wurde ihre Verwendung sogar ganz verboten.

Knapp 100 Jahre später waren die in der Zwischenzeit sehr blass gewordenen antiken, anilingefärbten Teppichen bei Innenarchitekten sehr beliebt. Deren nun sehr sanften Orientmuster passten perfekt in moderne Einrichtungen. Schnell begann man mit der Produktion neuer Teppiche, die gleich in den gefragten, zurückhaltenden Farben geknüpft wurden. Der moderne Ziegler war geboren.

Lazy-Lines - Auf der Rückseite sichtbare Diagonallinien
Die sogenannten Lazy-Lines sind Unregelmäßigkeiten im Grundgewebe, die für sichtbare diagonale Linien auf der Rückseite des Teppichs sorgen. Die Bezeichnung ist etwas irreführend, da diese Linien nicht unbedingt auf die Faulheit eines Knüpfers schließen lassen. Es stimmt, dass Lazy-Lines vor allem bei Teppichen vorkommen, die von zwei oder mehr Knüpfern gefertigt werden, doch auch Teppiche, an denen nur ein einzelner Knüpfer gearbeitet hat, können dieses Merkmal aufweisen. Von der Vorderseite sind diese Linien bei vollem Flor nicht zu sehen.

Die Lazy-Lines werden von den Schussfäden gebildet, wenn diese während des Knüpfens nach einer Knotenreihe nicht vom ganz linken bis ganz rechten Ende durchgezogen, sondern vorher zurückgeführt werden. Ein naheliegender Grund dafür kann eine unterschiedliche Knüpfgeschwindigkeit von zwei nebeneinander sitzenden Knüpfern sein. Wenn der auf einer Seite sitzende Knüpfer schneller mit seinem Bereich der Knotenreihe fertig ist als sein Nachbar und er nicht warten möchte, kann er den Schussfaden nur bis zu seinem letzten Knoten durchfädeln und dann wieder zurückführen. In der Folge muss der andere Knüpfer dasselbe tun, um den Schuss über seiner Knotenreihe eintragen zu können. An dem Treffpunkt beider Schussfäden entsteht im Grundgewebe ein kleiner Schlitz. Dieser ist vergleichbar mit dem in einem Schlitzkelim. Wenn ein einzelner Knüpfer an einem Teppich arbeitet, der so breit ist, dass er sich umsetzen muss, um eine komplette Knotenreihe knüpfen zu können, kommt es auch gern zu Lazy-Lines. Um Zeit zu sparen, arbeitet er erst an mehreren Knotenreihen auf einer Seite, bevor er sich umsetzt, um die andere Seite fertigzustellen.

Damit der Teppich durch die kleinen Schlitze, die durch das Zurückführen der Schüsse mitten im Teppich entstehen, nicht an Stabilität verliert, sorgen die Knüpfer dafür, dass die Lazy-Lines diagonal verlaufen, der Schlitz also nur eine Knotenreihe hoch ist. Besonders gut kann man die Lazy-Lines übrigens bei den heute modernen überfärbten Vintage-Teppichen sehen, deren Flor bis auf das Grundgewebe runtergewaschen wurde.•
aus Carpet Magazin 02/16 (Teppiche)