Kleiner Fehler – Großer Schaden

Helle Nahtkanten: Nahtkantenschnitt bei Schlingenflachgewebe misslungen

Fußbodenkonstruktionen zählen zu den komplexesten und am höchsten belasteten Bauteilen - schon kleine Fehler können hier große Auswirkungen haben. Dabei hat jede Baustelle ihre eigenen Tücken. Oft zeigt sich im Schadensfall erst anhand der Ursachenforschung, worauf ein Verleger alles achten muss. FussbodenTechnik deckt in Zusammenarbeit mit namhaften Sachverständigen anhand realer Schadensfälle mögliche Fehlerquellen auf. Diesmal geht es um helle Nahtkanten eines Schlingenflachgewebes in einem Seminargebäude.

In dem Seminargebäude eines Bekleidungsherstellers mit diversen Räumen erhielt ein Bodenleger den Auftrag, 500 m2 Schlingenflachgewebe zu verlegen. Der hochwertig gewebte, 2 m breite textile Belag sollte auf der vorhandenen Hohlbodenkonstruktion mit Calciumsulfatfließestrich nach dem Spachteln und Egalisieren geklebt werden.

Bei der Abnahme der Bodenbelagsarbeiten rügte der Innenarchitekt, der hohe Ansprüche an die optische Gestaltung des Gebäudes legte, einzelne Nähte mit herausragenden Polfäden und Ausfransungen der Schlingenpolschicht. Der Bodenleger führte daraufhin Nachklebemaßnahmen durch. Nach Rücksprache mit dem Lieferanten des Teppichbodens setzte er einen mit Farbpulver abgedunkelten Nahtkantenverfestiger ein.

Nach einer kurzen Nutzungszeit stellte der Bauherr helle, teils glänzende Streifen in gleichmäßigen Abständen von 2 m fest und rügte die Teppichbodenarbeiten erneut.

Schaden: Negative optische Auffälligkeit der Nahtkanten

Der eingeschaltete Sachverständige überprüfte die Teppichböden in allen Seminarräumen. In zahlreichen Flächen war der Bodenbelag in gleichmäßigen Abständen durch helle Streifen unterteilt, und zwar jeweils an den Nahtkanten. Die 5 bis 10 mm breiten hellen Streifen lagen mittels Zollstock nachvollziehbar in gleichmäßigem Abstand von 2 m und waren vielfach wellig, teilweise mit parallel abzweigenden streifenförmigen Aufhellungen. Eine nähere Betrachtung zeigte zum einen im Bereich der Nahtkanten - teils glänzend und fühlbar - das eingearbeitete Reaktionsharzmaterial mit im Belag vorhandenen Fehlschnitten, die ebenfalls mit dem Nahtkantenverfestiger bearbeitet wurden. Vereinzelt waren außerdem punktuelle Herauslösungen von Polfäden erkennbar. Trotz der Nahtkantenverfestigung konnte der Sachverständige erkennen, dass kein fachgerechter Gassenschnitt durchgeführt worden war. Stattdessen waren die meisten Nahtkanten im Doppelschnittverfahren hergestellt worden. Auch dort, wo keine Ausfransungen vorlagen, waren zahlreiche Polschlingen angeschnitten und mit Reaktionsharzmaterial regelrecht überzogen worden. Das Urteil war eindeutig: Der optische Gesamteindruck der Teppichbodenfläche in dem repräsentativen Gebäude war mangelhaft.

Ursache und Verantwortlichkeit: Kein fachgerechter Nahtkantenschnitt

Die Ursache des gerügten optischen Oberflächenerscheinungsbilds sind handwerkliche Fehlleistungen bei der Herstellung der Nahtkanten. Bei Webteppichen muss grundsätzlich ein Konfektionieren der Nahtkanten erfolgen, d.h. noch vor der Klebung muss ein gassengerader Schnitt, auch Gassenschnitt genannt, durchgeführt werden. In diesem Fall hatte sich der Bodenleger fälschlicherweise für das Doppelschnittverfahren entschieden.

Bei gewebten Schlingenteppichböden ist es unabdingbar, die Nahtkanten in der Noppengasse ohne Beschädigung des Schlingenpols herzustellen. Dazu setzt man Werkzeuge wie Mittag-Schneider oder spezielle Nahtschneider ein.

Das Schneiden erfolgt vor dem Kleben der Teppichbodenbahnen. Falls mal eine Naht verschnitten wird, kann eine Korrektur mit einem nochmaligen Gassenschnitt 2 bis 3 cm entfernt durchgeführt werden. Die so entstehende Verbindung mit einer sach- und fachgerechten Klebung sorgt für eine Nahtkante, die bei dunklen und gemusterten Teppichböden in der Regel kaum sichtbar ist.

In Räumen mit hoher Frequentierung oder auch Stuhlrollenbeanspruchung empfehlen einige Belagshersteller, zusätzlich eine Nahtkantenverfestigung durchzuführen. Bei dunklen Teppichböden würde man auch ein dunkles Verfestigungsmaterial wählen. Dieses darf allerdings nicht auf der Oberfläche der Polschlingen zurückbleiben.

Im vorliegenden Fall war das nachträglich eingesetzte Kaltschweißmittel auf die Oberflächen der Polschlingen gelangt. Nach dem Aushärten hatte es für Glanz und optische Aufhellungen gesorgt. Bei den Flachgewebeteppichen hätte ein Gassenschnitt ausgereicht, eine Nahtkantenverfestigung wäre bei der 2 bis 4 mm hohen Polschicht nicht zwingend erforderlich gewesen.

Fazit: Zu wenig Erfahrung mit Webteppichen

Im beschriebenen Bauvorhaben verfügte der Bodenleger über zu wenig Erfahrung bei der Verlegung von gewebten Teppichböden. Er hätte deshalb zwingend die bebilderten Verlegeempfehlungen des Belagsherstellers beachten müssen. Der Sachverständige bezeichnete es als Harakiri, in einem Gebäude mit rund 500 m2 ohne ausreichende Erfahrung einen gewebten Teppichboden verlegen zu wollen. Es hätte auf jeden Fall eine Einweisung mit einem Anwendungstechniker des Belagsherstellers erfolgen müssen.

Was zurück blieb, war ein hoher wirtschaftlicher Schaden, da eine Neutralisation der im Bauvorhaben vorliegenden Nahtkanten nur mit einer vollflächigen Neuverlegung möglich war.
aus FussbodenTechnik 04/16 (Handwerk)