150 Jahre Pichler

"Ausgezeichnete Qualität kommt nie aus der Mode"


Laichingen. Feine Tischwäsche seit 1866: So steht es auf den Visitenkarten des Textilunternehmens Pichler, das in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag feiert. Der Familienbetrieb wird mittlerweile in fünfter Generation geführt. Inhaber Dr. Thomas Wagner kennt das Auf und Ab eines Textilbetriebes sehr genau: Nach einer Insolvenz hat sich sein Unternehmen wieder nach vorne gekämpft und versucht heute, mit neuen Produkten auf einem sich wandelnden Markt zu bestehen.

Mit einem stolzen Handelshaus fing alles an: Im Jahr 1866 eröffnete Hermann Pichler am Marktplatz des beschaulichen Örtchens Urach am Fuße der Schwäbischen Alb eine Leinenvertriebsgesellschaft für Laichinger Leinen - und damit das Unternehmen, das in diesem Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert. "Ausgezeichnete Qualität kommt nie aus der Mode", glaubt Dr. Thomas Wagner, der den Familienbetrieb als Geschäftsführer und Inhaber in fünfter Generation leitet.

Ein solches Grundvertrauen ist notwendig, denn die Geschichte des Unternehmens kennt neben dem Erfolg auch viele Rückschläge, nicht zuletzt solche, die Wagner bis heute immer wieder weitreichende Entscheidungen abverlangen, um dauerhaft am Markt bestehen zu können. "Wir hatten zwei Weltkriege, es gab persönliche Schicksalsschläge bei den Gesellschaftern", so Wagner. "Mein Großvater starb, als mein Vater zwölf Jahre alt war - das war eine gewaltige Herausforderung. Die Großmutter war studierte Sängerin und alles andere als dafür ausgebildet, einen solchen Betrieb zu führen." Dennoch ging es stetig weiter, auch nach dem Zusammenbruch 1945.

Auf der Geschichte ausruhen kann und will Wagner sich nicht - auch wenn er mit Stolz schon in die Anfangsjahre zurückblicken darf: Pichler lieferte 1879 ein sogenanntes Kaisertuch zum 83. Geburtstag Kaiser Wilhelms I. und wurde ein Jahr später auf der Weltausstellung in Sydney mit einem Ersten Preis ausgezeichnet. Ausgezeichnete Qualität prägte bereits früh das Angebot des Unternehmens, das zehn Jahre nach seiner Gründung 1866 eine eigene mechanische Jaquardweberei in Laichingen in Betrieb nahm. "Damit begann eine rund 50-jährige Blütezeit für das Unternehmen", so Wagner. Tischwäsche und so genannte Künstlerdecken wurden damals produziert, mit der aufkommenden Industrialisierung wurde es möglich, diese Jugendstil-Arbeiten auch breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen.

Von den großartigen und hochwertigen Jugendstil-Arbeiten existieren heute nurmehr einige Stoff-Streifen, die ein früherer Betriebsleiter in dicken Büchern aufbewahrt hat. Der Zweite Weltkrieg riss ins Firmenarchiv tiefe Wunden, die alten Schätze gingen weitgehend verloren: "Das Archiv war in Stuttgart und wurde ausgebombt, und damit ist leider alles verloren gegangen - bis auf die wenigen Muster des Betriebsleiters", so Wagner. Um 1925 endete die Jugendstil-Ära bei Pichler.
Gewebt wurde in Laichingen noch lange. In den 50er-Jahren etwa etablierte Wagners Vater zeitweilig eine Frottierweberei. Die Jaquard-Weberei, eine der Keimzellen der Firmenentwicklung, erlebte ihre guten wie schlechten Phasen. In den 90er-Jahren musste investiert werden, insgesamt 3 Millionen D-Mark nahm die Firma damals in die Hand. "Aber zu dieser Zeit war Jaquard kein Thema, wir haben eigentlich gegen den Markt investiert", erinnert sich Wagner.

Andere Produkte wurden zum wichtigen Umsatzträger. "Wir hatten in den 80er-Jahren eine Blüte mit handgeführter Stickerei von den Philippinen auf Stoffen, die dorthin geliefert wurden und bestickt zurück kamen." Von 1985 bis 1991 kletterte der Umsatz bei Pichler von 10,5 auf 33 Millionen D-Mark. Dann kamen die Chinesen.

Eine Kooperation kam nicht zustande, doch Wagner sah die Konkurrenz und versuchte, die Stickerei an den Festonierbetrieb in der Türkei anzugliedern, den Pichler 1987 gegründet hatte. Das Projekt erwies sich als überaus aufwendig, denn die Ausbildung der Stickerinnen dauerte weit länger als gedacht. Zwei Jahre später hatten sich die Chinesen die Technik selbst besorgt. "Woher auch immer", wie Wagner rückblickend sagt. "Sie haben dann den deutschen Markt komplett überschwemmt." Eine voll bestickte Tischdecke, die vorher im Laden 100 D-Mark kostete, wurde nun zu einem Fünftel des Preises angeboten.

Damit begannen Schwierigkeiten, von denen sich das Unternehmen lange Zeit nicht erholen sollte. Der Umsatz brach deutlich ein, "die Sache fing an zu klemmen", wie Wagner sagt. "Damals mussten wir erkennen, dass die Quersubventionierung von der Stickerei in die Weberei nicht mehr funktionierte." 2002 folgte der Einschnitt, Pichler musste Insolvenz anmelden.

"Über ein Planverfahren sind wir da wieder herausgekommen", erklärt der Inhaber. "Wir hatten ja immer noch eine tolle Weberei und rund 70 Mitarbeiter." In der Zwischenzeit waren auch die Jaquards wieder am Markt gefragt. "Wir haben dann die bügelfreien Qualitäten entwickelt", beschreibt Wagner einen Glücksfall: Mit dem Artikel "Cordoba" preschte Pichler 2004 wieder nach vorne. "Das Ding ging ab wie eine Rakete."

Noch heute ist der Artikel eine feste Säule im Programm. "Die Kollektion ist mit vier oder fünf Farben gestartet, wie das für eine Basic-Qualität üblich ist", erinnert sich Heike Weiß, Verkaufsleiterin Einzelhandel. "Dann waren wir auf der Messe und haben sehr schnell gemerkt: In dieser Decke ist Musik drin." Nach und nach wurden für die bügelfreien Tischdecken immer mehr Kunden gewonnen. Zwölf Jahre später "ist die Cordoba bei den bügelfreien Qualitäten nach wie vor unangefochten", so Weiß. Heute wird sie in 23 Farben angeboten.

Doch mit Tischwäsche allein kann Pichler heute nicht mehr überleben. Der Markt wandelt sich, sowohl im Objektgeschäft als auch im Einzelhandel: "Wir kämpfen seit etwa acht Jahren mit einem jährlichen Rückgang der Tischwäsche um fünf bis zehn Prozent", erklärt Wagner. "Diesen Rückgang konnten wir jetzt erstmals mit Kissenhüllen auffangen. Sie passen als komplementäres Produkt zur Tischwäsche sowohl von der Produktion als auch vom Absatz wunderbar." 20 bis 30 Prozent Umsatzplus schlagen hier aktuell zu Buche.

Ursprünglich dienten die Kissen bei Pichler dazu, in den Möbelbereich hineinzukommen. "In den 90er-jahren waren wir uns noch zu gut, im Möbelbereich anzutreten - da haben wir noch festgehalten am klassischen Aussteuer- und Bettenfachhandel", so Wagner. Aber auch hier sammelte das Unternehmen seine Erfahrungen: Der Markt der Anfangspreislagen blieb für Pichler verschlossen, die gehobenen Abteilungen funktionieren.
"Melva" heißt eines der Erfolgsprodukte: "Das Kissen punktet durch die kuschelig-weiche Qualität und die sportive Konfektion mit Keder sowie durch die verschiedenen Farbwelten, so dass man schöne Arrangements schaffen kann, zum Beispiel Orange-Pink-Rot-Kombinationen", schwärmt Heike Weiß. Ein solches Produkt kann indes am Standort Laichingen aufgrund der Kostenstruktur nicht mehr produziert werden. Wagner: "Der Stoff kommt beispielsweise aus China, eine Teilproduktion ist in China und die Restproduktion in der Türkei."

Die eigene Weberei hat Pichler 2015 abgewickelt, heute sind die Räume vermietet, die Belegschaft liegt aktuell bei 45 Beschäftigten und wird mutmaßlich noch ein wenig weiter schrumpfen. Gleichzeitig sieht Wagner aber die Chancen dieser Entwicklung: "Das ist auch ein Stück Freiheit, die wir nutzen müssen. Wir sind im Augenblick mit vielen Sachen sehr kreativ unterwegs, die wir vorher so nicht angepackt hätten. Hätten wir die Weberei nicht abgestoßen, wäre sie nur noch im Ein-Schicht-Betrieb ausgelastet gewesen. Das hätten wir auf Dauer nicht durchgehalten."

So blickt der Inhaber guten Mutes in die Zukunft: "Wir öffnen uns momentan für komplett neue Ideen bei Produkten und Materialien, etwa für Plaids und den gesamten Bereich der Wohnaccseeoires." Das wirkt sich auch an anderer Stelle aus: "Ein erster Schritt ist es zu sagen, dass die Heimtextil nicht mehr unsere Messe ist. Wir müssen auf die Ambiente und auf die Regio-Messen, um uns auch dort einem breiteren Publikum zu öffnen."

Auch den Bettenfachhandel hat er noch längst nicht aus dem Blick verloren: "Wir brauchen Leute, die persönlich draußen verkaufen und als Absatzmittler im stationären Handel arbeiten. Ich glaube auch, dass so mancher Bettenhändler in der Lage wäre, unsere Produkte als zusätzlichen Umsatzbringer zu integrieren", so Wagner. "Dafür braucht man nicht mal eine große Fläche, aber einen kleinen Point of View, um die Produkte bekannt zu machen." Es sei immer die Abwägung, wofür der jeweilige Händler stehen wolle: "Schafft er es, das Thema in seinen Kompetenzbereich so aufzunehmen, dass man ihm das abnimmt? Das ist die Voraussetzung."
aus Haustex 06/16 (Wirtschaft)