Bruno, Muun, Casper & Co.

Start-ups mischen die Matratzenbranche auf


Hamburg. Die beste Matratze der Welt nehmen die einen für sich in Anspruch. Eine veraltete Kundenansprache kritisieren die anderen. Mehrere neue Matratzenanbieter wollen den Markt aufmischen. Während sich die hiesigen Start-ups selbstbewusst geben, lässt nun auch die US-Marke Casper in Deutschland die Muskeln spielen.

Das muss man sich erst mal trauen: Mit einem nackten 135-Kilo-Mann ein Produkt zu bewerben, das man im dazugehörigen Spot gar nicht erkennt. "Deutschland kann auch soft" lautete der mehrdeutige Slogan des Berliner Matratzen Start-ups Muun, der Hashtag zur Kampagne heißt germansoftness. Im Werbefilm fährt die Kamera an der massigen Oberfläche eines Berliner Türstehers entlang, der über seine weichen Seiten philosophiert.

Er liegt auf einer Matratze, die so vielseitig sein soll wie die Schlafbedürfnisse der Muun-Kunden. One-fits-all heißt die neue Philosphie, die Vincent Brass und Frederic Böert mit ihrem jungen Unternehmen in Berlin-Mitte an den Mann und die Frau bringen wollen. "Wir sind kein Matratzenhersteller und wollen auch keiner sein", betonen sie. "Wir sind eine ganzheitliche Schlafmarke." Mittlerweile gehören auch Kissen, Decken und Spannbettücher ins Portfolio.

Vor gut anderthalb Jahren gründete der Maschinenbauer Brass gemeinsam mit Betriebswirt Böert das Unternehmen Muun mit Hilfe von Investoren. Beide haben sich im Studium kennengelernt, beide vereint eine Leidenschaft fürs Technische. Ihre Matratze haben sie gemeinsam mit einer amerikanischen Designagentur entwickelt, die auch im Healthcare-Bereich arbeitet. Denn ergonomisch richtig sollen Muun-Kunden auf jeden Fall liegen. Die Schulterzone, die verwendeten Schäume, die individuelle Anpassbarkeit: Auf all das werde viel Wert gelegt, so Brass.

Emotionales Verkaufen

Ein Jahr lang wurde entwickelt, bevor die beiden Unternehmer mit ihrem Produkt zufrieden waren. Ein wendbarer Kern und eine wendbare Auflage ergeben die vier Liegegefühle der Muun-Matratze. Unterschiedliche Zulieferer deutscher Qualitätsunternehmen fertigen die Bausteine, die zum Endprodukt konfektioniert werden. "Die Kür, und da unterscheiden wir uns, ist das Thema Emotionalität", betont Brass. Ergonomie sei nun mal kein Verkaufstreiber.

Vielleicht ist Berlin-Mitte mit seinem trendbewussten, Publikum genau der richtige Ort, um ein solches Projekt zu starten. "Ernährung, Gesundheit, Fitness: Dafür geben die Leute immer mehr Geld aus", hat Frederic Böert beobachtet. "Es wird bewusster konsumiert." Allerdings, so klagt Vincent Brass: "Die Leute geben für einen Saft mal eben sechs Euro aus, für ihre Matratze aber vielleicht nur 150 Euro." Da geht noch was. Bei Muun ab 490 Euro aufwärts. Ein Billiganbieter ist das Start-up nicht.

Das kann man auch der Konkurrenz von Bruno nicht vorwerfen, die ihre Zelte ein paar Straßen weiter in Berlin-Mitte aufgeschlagen hat: Bruno gibt’s ab 375 Euro zu kaufen, 180x200 cm schlagen mit 775 Euro zu Buche. Während Brass und Böert über einen schicken Showroom mit angeschlossenem Büro verfügen, der sich ins junge Umfeld am Rosenthaler Platz einfügt, sitzt Bruno-Geschäftsführer Felix Baer im deutlich rustikaleren Ikea-Ambiente.

Schon am Büro erkennt man, dass hier mit Eigen- und nicht mit Fremdkapital gearbeitet wird. Ein Umstand, auf den Baer stolz ist und der sein Selbstbewusstsein keineswegs schmälert. "Die beste Matratze der Welt" zu verkaufen nimmt sein Unternehmen für sich in Anspruch. Eine Nummer kleiner gings offenbar nicht. "Dann würden wir der klassischen Industrie-Logik folgen und uns als Nummer 237 in die Riege der Hersteller einreihen, die mit 20 oder 30 verschiedenen Modellen arbeiten", glaubt Baer.

Punkten bei Preis und Leistung

Der Name Bruno soll für Ecken und Kanten stehen. "Wir kommen von außen und wollen diesem Markt ein besseres Produkt bieten, vor allem, was das Preis-/Leistungsverhältnis angeht", erklärt der Geschäftsführer. "Unser Geschäfts- und Vertriebsmodell hilft uns dabei." Die Bruno-Matratze hat einen 20 Zentimeter hohen 7-Zonen-Kaltschaumkern, auf dem eine drei Zentimeter dicke Oberfläche aus 100 Prozent Naturkautschuk liegt. Der Schaum kommt aus deutscher Produktion, der Latex wird fair gehandelt. "Das ist in dieser Kombination einmalig, weil es auch teuer ist", sagt Baer.

Er verweist auf die Kostenstrukturen im stationären Handel: "Da fließt viel Geld in die Unterhaltung der Geschäfte und nicht in die Matratze. Wir können durch unseren Vertriebsweg einen höheren Materialeinsatz rechtfertigen und einen anderen Preis anbieten." Vor gut zwei Jahren ist Bruno gestartet, im ersten vollen Geschäftsjahr machten die Berliner 3 Mio. Euro Umsatz. "2016 wird es definitiv mehr, weil wir auch die Auslandsmärkte mit Frankreich und Großbritannien angehen."

Von dort drängt aktuell Eve auf den deutschen Markt, noch so ein One-fits-all-Konzept mit angeschlossener Website und dem Versprechen, die Matratze 100 Tage ausprobieren zu können. Auch bei den Briten wird nicht gekleckert, sondern geklotzt: Eve sei die bequemste Matratze, die je produziert wurde. US-Anbieter Casper wiederum hat seine Europa-Zentrale gerade in Berlin eröffnet. Die Marke wolle die Nummer 1 am Schlafhimmel werden, berichtete die Bild-Zeitung Anfang Juli und zitierte Constantin Eis, der dies als Co-Founder richten soll. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen eine neue Matratze lieber zu Hause ausprobieren wollen. Deshalb nimmt der Online-Handel in dem Bereich auch zu und der stationäre Handel schrumpft", erklärte der ehemalige Home24-Vorstand. In den USA habe Casper bereits im ersten vollen Kalenderjahr 100 Mio. Dollar umgesetzt. Zu den Investoren gehören Hollywoodstars wie Leonardo DiCaprio und Tobey Maguire.

Fachhändler sind nicht das Ziel

Der stationäre Handel ist die Angriffsfläche der Start-ups, das inhabergeführte Fachgeschäft aber nicht das primäre Ziel. Der Online-Trend gehe zu Lasten der Mitnahmemärkte oder von Anbietern wie Ikea, erklärte Markus Ott, einer der Gründer von Emma-Matratzen, dem Branchendienst "Inside". Emma wurde 2015 mit Sitz in Frankfurt gegründet und mischt ebenfalls bereits erfolgreich am Markt mit. Ott sah aber gegenüber "Inside" nicht, dass seine Produkte geeignet seien, "einen Fachhandelskunden auf irgendeine Weise aus einem Fachhandelsgeschäft herauszuholen."

Auch Muun-Gründer Vincent Brass erklärt: "Wir sind nicht die Herausforderer des Fachhandels. Wir bieten eine Alternative dazu, die für den Kunden sehr einfach zu verstehen ist." Der Fachhandel wende Methoden an, die für dessen Kundschaft absolut richtig seien, so Brass. "Unsere Kundschaft sucht aber etwas anderes, weil sie sich vom Fachhandel nicht mehr abgeholt fühlt."

Die meisten Kunden seien beim Matratzenkauf überfordert, so Brass. "Wir haben bei der Entwicklung unserer Matratze auch auf Ergonomie geachtet, aber wir werben kaum damit. Sobald die Begriffe zu technisch werden, gehen viele Kunden verloren." Für das Online-Geschäft lautet das Muun-Credo: minimale Komplexität, maximale Individualität.

"Wir wollten den Onlinehandel so einfach wie möglich gestalten. Bei vielen Anbietern ist das Angebot aus Sicht des Kunden so unübersichtlich wie im stationären Handel - nur dass man sich auf die vielen Matratzen nicht mal eben drauflegen kann", erklärt Brass, der seinen Kunden ebenfalls 100 Nächte Probeschlafen ermöglicht. "Wir haben zwei bis drei Prozent Retouren."

Beim Fachverband Matratzenindustrie sieht man die 100-Tage-Praxis äußerst kritisch: "Tatsächlich ändert dies nichts an der Tatsache, dass es keine Möglichkeit gibt, die Liegeeigenschaften der einen gelieferten Matratze mit denen anderer Modelle zu vergleichen und sich selbst ein Bild davon zu machen, auf welcher Matratze der eigene Körper am besten gestützt und zugleich entlastet wird", betont Geschäftsführer Dr. Ulrich Leifeld. Gerade deshalb sei es wichtig, unterschiedliche Härtegrade als Anhaltspunkt zu haben, um eine individuell passende Matratze auswählen zu können. "Bei dem Geschäftsmodell One-fits-all können Verbraucher dagegen nur darauf hoffen, dass sie in eine gewisse Zielgruppen-Schnittmenge hineinpassen, die mit den Liegeeigenschaften einer Durchschnittsmatratze ordentlich bedient sind." Vielen Verbrauchern scheint genau dies allerdings auszureichen, die emotionale Ansprache der Werbung tut ihr Übriges.

"Wir haben unsere Matratze so konstruiert, dass das Modell für 95 Prozent unserer Kunden passen wird", hält Bruno-Gründer Felix Baer dem Argument Leifelds entgegen. Und Muun-Kollege Böert kritisiert die Praxis von Mitbewerbern, ohne allerdings Namen zu nennen: "Manche nutzen die Komplexität des Themas aus und überfordern den Kunden auch sehr gern, weil es eine schöne Möglichkeit ist, gut zu verkaufen."

Transparenz im Markt vermisst

Das ist auch ein Thema von Felix Baer, der mit seiner Kritik an den Großflächenanbietern nicht hinter dem Berg hält: "Sie bieten unheimlich viele Modelle, suggerieren ständig, dass es Sonderpreise gibt. Aber eigentlich leben sie von der Unwissenheit der Verbraucher." Baer grenzt sich bewusst gegenüber Anbietern wie beispielsweise Matratzen Concord ab: "Wenn Sie in ein solches Geschäft gehen, wird Ihnen mit Sicherheit eine Matratze 90x200 cm empfohlen, die über 400 Euro liegt. Da ist man genau bei unserem Preispunkt, bekommt aber eine schlechtere Qualität."

Aus seiner Sicht fehlt es an Vergleichbarkeit und Transparenz im Markt. "Beim Smartphone oder einem Auto hat jeder ein ungefähres Preisgefühl im Kopf. Bei Matratzen wird der Lada mit dem Ferrari verglichen. Wenn man wirklich gleichwertige Modelle gegenüberstellt, sind wir wesentlich günstiger als ein Discounter", gibt sich der Bruno-Geschäftsführer selbstbewusst. "Da wir uns so stark auf ein Produkt konzentrieren, können wir auch viel mehr Energie in dieses eine Produkt stecken, als wenn wir eine künstlich aufgebauschte Vielfalt hätten. Deshalb sagen wir, dass es unser Ziel ist, die beste Matratze zu machen."

"Im Markt hat man sich teilweise vom Kunden entfernt", findet auch Vincent Brass. "Man hat sich sehr stark auf sich selber konzentriert und gefragt: Wie kann ich noch eine technische Innovation schaffen - ohne sich zu fragen: Ist es das, was der Kunde wirklich braucht?"

Dass der Kunde ein One-fits-all-Konzept tatsächlich braucht, bestreitet Stefan Müller. Einfach zu verstehen sollte ein Konzept trotzdem sein. Mit seinem Unternehmen Grafenfels bietet Müller fünf unterschiedliche Matratzen für fünf unterschiedliche Liegebedürfnisse an. "Wir glauben ergonomisch nicht an das One-fits-all-Konzept: Es kann nicht eine Matratze für jeden geben, das kann technisch nicht funktionieren", sagt der Geschäftsführer, der mit seiner Marke, die ebenfalls in der Hauptstadt angesiedelt ist, Onlinehandel und stationären Fachhandel gleichzeitig bedient (siehe Interview des Monats ab Seite 24).

Aus Müllers Sicht sorgen die Start-ups allerdings für einen enormen Aufschwung am Markt, angetrieben durch Casper: "Sie lösen das Problem aktuell sehr gut, ein Produkt zu schaffen, das sehr leicht im Internet verkaufbar ist." Zu wessen Lasten dies im stationären Handel auf Dauer geht, ist dabei offen. Felix Baer von Bruno sagt: "Wir dachten anfangs, wir sprechen den jungen, internet-affinen Nutzer an. Das tun wir auch, aber wir haben viele Kunden, die zwischen 50 und 70 Jahre alt sind. Das ist komplett gemischt." Und eine Chance. Denn kleiner wird diese Zielgruppe in den kommenden Jahren nicht.
aus Haustex 07/16 (Handel)