Cammann Gobelin Manufaktur Peggy Wunderlich & Torsten Bäz GbR

Cammann Manufaktur in der Straßenbahn

Über 100 Jahre alt sind die von einem Potsdamer Verein restaurierten Straßenbahnwagen. Deren dem Original nachempfundene textile Ausstattung hat die Cammann Gobelin Manufaktur gefertigt.

Der in den vergangenen Jahren mit viel Liebe zum Detail rekonstruierte Lindner-Triebwagen Nr. 9 der Potsdamer Straßenbahn aus dem Jahr 1907 ist nun komplett. Die originalgetreu nachempfundene textile Innenausstattung stammt von der Cammann Gobelin Manufaktur. In aufwändiger Arbeit sind rot-goldene Überwürfe mit dem eingewebten Bildmotiv des Märkischen Adlers aus dem Potsdamer Stadtwappen entstanden. Derartige Decken zierten einst zu besonderen Anlässen die Holzbänke der ersten Generation von elektrischen Straßenbahnen. Die Repliken wurden von den beiden Cammann-Inhabern Peggy Wunderlich und Torsten Bäz im September an den Verein Historische Straßenbahn Potsdam übergeben.

Der Verein hat seit 2008 insgesamt 391.000 EUR gesammelt, um den historischen Triebwagen fahrtüchtig zu machen und in altem Glanz erstrahlen zu lassen; rund 11.000 EUR davon entfallen auf die textile Ausstattung. "Wir wussten, dass die Cammann Gobelin Manufaktur schon Repliken für das Potsdamer Schlosstheater hergestellt hatte und über das nötige Know-how verfügt. Im April vorigen Jahres haben wir den Auftrag erteilt und sind mit dem Ergebnis mehr als zufrieden", berichtet Vereinsvorstand Ivo Köhler.

Die Vorlage war schwarz-weiß

Als Vorlage für die luxuriös anmutenden Überwürfe existierte lediglich ein Glasplatten-Foto in Schwarz-Weiß des seinerzeit von der Firma Lindner in Ammendorf bei Halle gebauten Wagens, für den die Berliner Siemens-Schuckertwerke die Antriebstechnik lieferten. "Wir haben Historiker und Denkmalschützer konsultiert und sind gemeinsam mit den Vereinsmitgliedern sicher, dass wir hinsichtlich Optik und Haptik das Erscheinungsbild der damaligen Zeit getroffen haben", erläutert Torsten Bäz. Peggy Wunderlich ergänzt: "Doch es kommt ja bei einem solchen Gebrauchsgegenstand heutzutage vor allem auf hohe Funktionalität an. Deshalb haben wir zunächst mit unterschiedlichen Garnen experimentiert sowie verschiedene Materialkombinationen und Bindungsbilder ausprobiert. Jetzt können wir sagen, dass unser Jacquard-Gewebe für den Wagen Nr. 9 vergleichbar ist mit Hightech-Stoffen, mit denen moderne Auto- oder Flugzeugsitze bezogen werden. Die unter anderem von uns verwendete Polyamid-Chenille ist angenehm flauschig und wenig schmutzempfindlich."

Auf der Unterseite sind die Überwürfe mit einem Schaumstoff kaschiert, damit sie auf den glatt lackierten Holzleisten nicht rutschen. Die anspruchsvolle Konfektionierung der Gewebeteile, die Kaschierungen, die Borteneinfassungen sowie die Herstellung der zum Fixieren dienenden Lederriemen an den Sitzlehnen übernahm das dem Team des Dresdener Raumausstatters Thomas Weichelt. Die passenden Borten und Schnüre kommen von der Jende Posamenten Manufaktur Forst, die sich in der Tradition des ehemaligen königlich-preußischen Hoflieferanten Theodor Wagler sieht.

Die Cammann Gobelin Manufaktur in Niederweisa besteht seit 130 Jahren. Nach wie vor produziert das 1886 von Paul Cammann in Chemnitz gegründete Unternehmen schwere Möbelstoffe und Wanddekorationen auf traditioneller Jacquard-Webtechnik für anspruchsvolle Kundschaft weltweit. Schon Bauhaus-Gründer Walter Gropius bestellte bei Cammann, ebenso Konrad Adenauer, der Moskauer Kreml oder die NCL-Reederei für ihren Luxusliner "Pride of America". Auch Theatervorhänge in der Staatsoper Berlin und im Leipziger Opernhaus zeugen vom Können der sächsischen Weber. Das "Muster-Gedächtnis" der Manufaktur ist auf historischen Lochkarten gespeichert; u. a. befinden sich Entwürfe von des Architekten und Designers Henry van de Velde im Archiv. Einmalig in Deutschland sei die Fähigkeit, per Hand kolorierte Gobelins zu fertigen.

Peter Ludwig
aus BTH Heimtex 11/16 (Referenz)