Decorex International

Das London Design Festival zeigt den Reiz der Gegensätze

Überbordende Kreativität ist ein Markenzeichen des London Design Festivals mit den Messen Decorex, 100 % Design und Focus. Ein Thema war diesmal auch der Brexit und seine negativen Folgen für die Einrichtungsbranche auf der Insel.

Seit nunmehr dreizehn Jahren lockt das weltweit aufregendste und kreativste Designfestival internationale Besucher nach London. In eleganten Showrooms, aufgelassenen Fabriken und an urbanen Outdoorlocations wird modernes Design zelebriert, flankiert von drei großen Messen: der Decorex im traditionsreichen Syon Park, der 100 % Design in den sachlichen Messehallen an Earls Court und der Focus im architektonisch spannenden Chelsea Harbour Design Centre.

Decorex und Focus - stark frequentiert von Inneneinrichtern und Designern, Fachhändlern und Raumausstattern - spiegeln die vielen Facetten wieder, die von jeher den Charme der Metropole an der Themse ausmachen: Die Aussteller und ihre Produkte sind sowohl traditionsbewusst und elegant als auch avantgardistisch und experimentierfreudig. Es ist der Reiz der Kontraste, der hier zum Ausdruck kommt.

"Luxus wird neu definiert", hieß es im Chelsea Harbour Design Centre mit seinen 120 Showrooms. Dort wurden in diesem Jahr über 600 Kollektionen des gehobenen Genres präsentiert: Stoffe, Teppiche und Tapeten sowie Accessoires. Weil sich Luxus auch über Kunst definiert, gab es die Sonderpräsentation "Art meets Design", bei der die einflussreichsten britischen Interiordesigner ihre Lieblings-Kunstwerke, Bilder und kleine Skulpturen zeigten. "Unsere Klientel wird immer anspruchsvoller. Kunst ist mittlerweile ein zentrales Objekt bei der Inneneinrichtung", so die zentrale Aussage.

Kunstvolles gab es auch in den großen weißen Zelten der Decorex zu sehen. "Future Heritage" war eine Ausstellung überschrieben, bei der traditionelles Handwerk mit den Materialien Holz, Keramik und Porzellan, Glas, aber auch Textilien übersetzt wurde in zeitgenössisches Design. Der Reiz der Gegensätze zeigte sich im selbstverständlichen Nebeneinander von international agierenden, etablierten Marken und Newcomern, von Vertretern des eleganten, traditionellen Brit Chic und jungen Wilden, von Beispielen eines modifizierten Country-Stils und Einflüssen moderner Kunst.

Samt ist angesagt

Bei den Stoffpräsentationen kristallisierte sich ein Trend heraus: Samt. Geprägt, bedruckt, uni, für Kissen, Sofas, Sessel und Fensterdekorationen. Das noch junge Unternehmen House of Hackney wurde bei der Firmengründung vor sechs Jahren von der britischen Presse gefeiert wegen seiner schrägen Prints aus Flora und Fauna. "Colefax and Fowler auf Droge" hieß es damals, und mit diesem Attribut hat man auch noch lange kokettiert. Nun lancierte House of Hackney neben seinen Prints eine Kollektion Uni-Samt in einer sehr breiten, reichen Farbpalette. Ein Statement.

Neu orientiert hat man sich auch bei John Boyd, seit 1837 Hersteller von Möbelbezugsstoffen aus reinem Rosshaar. Demonstriert wurde die Neuausrichtung mit dem minimalistischsten Messestand überhaupt. "Wir arbeiten mehr und mehr mit jungen Designern", sagt Anna Smith, Managing Director. "Alle zwei Jahre bringen wir eine neue Farbpalette." Gleichzeitig besinnt man sich auf Architekten der 1920er und 30er Jahre wie Eliel Saarinen und Charles Rennie Macintosh. "Wir holen ihre Farben zurück", so Anna Smith.

Bei Designers Guild holt man sich hingegen Inspirationen bei den Zeichnungen berühmter und mutiger Damen wie der Naturforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian (1647 bis 1717) oder der Zeichnerin und Kupferstecherin Elizabeth Blackwell (gest. 1758). Zarte Blüten und Schmetterlinge zieren Stoffe und Tapeten. Darüber hinaus meint Tricia Guild: "Struktur wird ein ganz wichtiges Thema."

Glanz und Glamour bleiben aktuell und zeigen sich auf hochwertigen, opulenten Jacquards oder seidigen Stoffen mit kostbaren Stickereien. Wichtig sind fein abgestufte Farben oder gleiche Farbhöhen. Als Kontrast leuchtende Juwelenfarben. Margo Selby interpretiert die Jacquardtechnik neu mit geometrischen Dessins. Jedes Muster wird zuvor von ihr am Handwebstuhl ausprobiert. Neu sind ihre "Woven Panels" als Wandverkleidung oder hauchzarte Jacquards für Lampenschirme.

Weg vom "flowery, chintzy style" will man bei Bert & May. Die Newcomer bringen ein Komplettprogramm von Bodenfliesen über Möbel bis hin zu Stoffen und Tapeten, mit Inspirationen aus Südfrankreich.

Tapeten bleiben ein großes Thema

Die Briten haben traditionell ein unverkrampftes, wohlwollendes Verhältnis zur Tapete. Entsprechend groß war das Angebot. Zarte Blumendessins, Ranken und Rauten, kleine geometrische Muster. "Wir glauben, dass eine Wandverkleidung einen Raum total verändern kann", heißt es bei Tektura. Mit ihren metallisch in Gold, Silber und Kupfer schimmernden Wandpaneelen kreieren sie ein kostbares Ambiente.

Timorous Beasties aus Glasgow zeigten wieder ihre opulenten Interpretationen tropischer Pflanzen und Tiere, urbane Toile de Jouys; aber ihre Tapeten schmücken auch ironisierte Totenköpfe in freundlichen Farben. "Wir wollen die Bewohner von Ein-Zimmer-Apartments genauso bedienen wie diejenigen von großen Country-Villas" ist ihre Devise.

Santorus reiht sich ein in die Riege der Unkonventionellen mit überbordenden, schrillen Motiven auf Tapeten und Stoffen. Das indisch-italienische Familienunternehmen wird in zweiter Generation von den Geschwistern Fabian Santoro und Tara Strickland geführt. Ihr Motto lautet: "Madness is the Glory of Life". Und das zeigen sie auch.

Und immer wieder die Kunst. Alton Brook zeigt Tapeten, inspiriert von Jackson Pollocks Action Painting. Maxine Hall, Gründerin von Blackpop, gibt ihren Tapeten die Anmutung des New York Abstract Expressionist Movement der 1940er und 50er Jahre mit "dripping colour". Und Kate Hawkins und Sarah McClean von Common Room haben selbst renommierte Kunstakademien absolviert und auch ihre Mitstreiter sind Künstler - keine Designer.

"Der Brexit ist ein absolutes Desaster"

All die beeindruckenden Impressionen und Diskussionen über neue Trends konnten ein Thema nicht überdecken: den Brexit. Amanda Back, Designers Guild: "Wir sind sehr enttäuscht über den Ausgang des Brexit-Votums. Wir sind ein internationales Unternehmen, wir agieren und denken europäisch. Wir werden alles tun, damit sich für unsere Kunden nichts ändern wird."

Eine Podiumsdiskussion während der Decorex machte deutlich, wie plötzlich sich die Auftragslage bei Inneneinrichtern und Händlern verändert hat. "Seit Juni laufen die Geschäfte schlecht", sagt Paddy Prowse, Managing Director And so to Bed, Hersteller von Designer-Luxusbetten und Schlafzimmermöbeln. "Die Situation in den Monaten Juni, Juli und August war eine sehr unerfreuliche und neue Erfahrung für uns." Inneneinrichter Tim Gosling berichtet: "Wir hatten bereits einen Monat an einem großen Projekt gearbeitet, am Tag nach dem Brexit-Votum wurde der Auftrag storniert." "Die Entscheidung der Briten kam völlig unerwartet", ergänzt Salley Storex, John Cullen Lighting. "Alle Aufträge kamen danach schleppend, mit großer Verzögerung. Was passiert wohl als nächstes?" Joanna Wood, Interior Design bestätigt: "Der Brexit ist ein absolutes Desaster. Auch uns wurde am Tag danach ein großer Auftrag storniert, bei einem anderen wurde das Budget halbiert. Wie sollen wir die nächsten zwei, drei Jahre überleben?" Aber, so Joanna Wood: "We are British. We will survive."

Very British war auch das Ende der Veranstaltungen. Hierzulande kaum vorstellbar, berichteten Hersteller und Inneneinrichter im Seminarraum der Decorex über die größten Flops und Missgeschicke ihrer Karriere - mit typisch britischem Humor und der einzigartigen Gabe zur Selbstironie. Lustiger als jede Comedy Show, begleitet von schallendem Gelächter im Publikum, war es ein höchst vergnüglicher und entspannender Abschluss von vier anstrengenden Messetagen.
Ilona Schulz
aus BTH Heimtex 12/16 (Wirtschaft)