Megatrend Individualisierung


Frank Seemann, Marketingleiter bei Erfurt & Sohn, beschreibt den Megatrend Individualisierung, seine Auswirkungen auf die Industrie und das Handwerk sowie die Chancen, die sich daraus für beide ergeben.

Viele Faktoren - dazu gehören Bildung, Wohlstand, Mobilität und der technische Fortschritt - führen zu einer deutlichen Erhöhung der Wahl-optionen im gesamten Lebensbereich. Der Einzelne ist heute nicht mehr auf einen bestimmten Lebensweg festgelegt, sondern kann immer mehr Entscheidungen für seine persönliche Entwicklung treffen.

Selbstverwirklichung und Trends sind eng mit Digitalisierung verbunden. In Zeiten von Facebook, Twitter und Co. verbreiten sich neue Stile rasend schnell. Die immer feiner gestrickten sozialen und technologischen Netzwerke treiben die Individualisierung rasant an und schaffen Raum für neue Geschäftsmodelle und Services.

Der moderne Mensch sucht Unikate

Im Bereich der Inneneinrichtungen ist dieser Trend genauso sichtbar. Während die Industrie versucht, Trends zu setzen und entsprechend zu kommunizieren, sucht der Kunde nach ausgefallenen und in kleiner Stückzahl gefertigten Produkten, die sich von der Massenware absetzen. Als Zeichen von Unabhängigkeit und Einzigartigkeit möchte der moderne Mensch als Unikat erkannt werden und nicht in der gleichförmigen Menge untergehen.

Viele Hersteller sind heute in der Lage, individualisierte Produkte zum Beispiel mit Hilfe des Digitaldrucks herzustellen; sie haben jedoch selten den Marktzugang oder die entsprechende Vermarktungsidee. Auch in der Farbenindustrie ist es möglich, persönliche Farbtöne nach Kundenwünschen herzustellen - am Verkaufspunkt und in hoher Vielfalt. Im Bereich Wandgestaltung sind der individuellen Ausprägung fast keine Grenzen gesetzt: Mit der klassischen Raufaser, modernen Vliesfaser- oder Strukturtapeten in allen Farben sowie digitalen Fototapeten lassen sich Wohnträume jeder Couleur realisieren.

Bei Menschen, die eher auf zeitlose Standards setzen, ist ein gegenläufiges Verhalten zu erkennen. Sie folgen dem Trend zur "weißen Wand". Hier ist nicht die Wand und ihre Gestaltung an sich im Fokus und Ausdruck des persönlichen Stils, sondern sie fungiert als Rahmen für den Raum. Hier wird bewusst auf eine Reduzierung der Gestaltungselemente gesetzt, um mit anderen Mitteln wie Bildern Veränderungen oder individuelle Akzente zu setzen. Dabei kommen häufig Unifarben zum Einsatz sowie strukturgebende Untergründe, die eher eine beruhigende Wirkung ausüben und hintergründig wirken.

Handwerker beauftragt, Freizeit gewonnen

Die veränderten Lebens- und Arbeitsweisen der modernen Gesellschaft mit ihren ausgeprägten Wahl-optionen haben neue Arbeitszeitmodelle entstehen lassen und genauso individuelle Entlohnungssysteme. So ist auch die Beauftragung eines Handwerkers nicht nur monetär, sondern auch zeitlich zu bewerten. Während früher häufig Wochenenden und Abendstunden für die Neugestaltung von Wohnräumen in Eigenregie eingesetzt wurden, wird heute der entgangene Freizeitwert häufig höher als die zu erwartende Handwerkerrechnung bewertet - und daher der Fachmann beauftragt.

Dieser Trend wird durch Vermittlungs--Netzwerke im Internet gefördert und vor allem neuen und jungen Zielgruppen nahe gebracht. Das ist eine Chance für den Handwerker, den Kunden durch die riesige Auswahl der Möglichkeiten zu geleiten und ein Gesamt-gestaltungskonzept zu entwickeln.

Individualisierung durch Digitalisierung

Die neuen Nachfrager entstehen also aus einer hybriden Kundenstruktur, die schwer zu beschreiben ist. Trends wird nicht mehr gefolgt, sondern sie werden zunehmend persönlich gesetzt. Lebensphasen, Stimmungen, Richtungsänderungen lassen den Kunden von morgen nur dann berechenbar werden, wenn möglichst viele Optionen angeboten werden.

Heute ist die Individualisierung soweit, dass sie auf den Produktionsprozess einwirkt. Wir sprechen dabei von Mass-Customisation, also der Fabrikation von personalisierten und damit hochindividuellen Produkten in der Menge der ursprünglichen uniformen Massenproduktion. Das strategische Unternehmens- und Produktionskonzept verbindet die Vorzüge der Massenproduktion mit dem wachsenden Wunsch des Kunden nach einem auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen individuellen Produkt.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in der Rentabilität der Produktion und Distribution von Kleinstmengen. Manche Unternehmen widmen sich dieser Prozesse im Rahmen der Digitalisierung und Industrie 4.0. Erfolgreich sind solche Konzepte nur, wenn Kunden und (Handels-)Partner mit in die Wertschöpfungsprozesse integriert werden. Arbeiten alle Beteiligten Hand in Hand, bietet der Megatrend Individualisierung eine große Chance für wirtschaftlichen Erfolg.
aus BTH Heimtex 06/17 (Handel)