Interview des Monats mit Dr. Ali Ipektchi (Ipek)

"Wer Trading-up will, braucht die Importeure"


Hamburg gilt als einer der größten Teppichumschlagplätze der Welt. Vor allem in der denkmalgeschützten Speicherstadt, aber auch an anderen Hamburger Standorten wie der Borsteler Chaussee sitzen zahlreiche Importeure. Inzwischen ist ihre Zahl allerdings erheblich gesunken. Das wirkt sich auch auf den Einzelhandel aus, meint Dr. Ali Ipektchi (Ipek), Vollsortimenter für persische Ware und Vorsitzender der Importeursvereinigung Euca. Carpet XL sprach mit ihm über die Veränderungen der letzten zehn Jahre und die Konsequenzen und Chancen, die sich daraus für die Branche ergeben.

Carpet XL: Eine der einschneidendsten Veränderungen der letzten zehn Jahre war das Aufkommen des Onlinehandels. Den hat man wohl zunächst unterschätzt, weil es immer hieß, Teppiche müsse man anfassen, die könne man nicht im Internet kaufen ...

Ipektchi: ... und dann ist es doch passiert. Das ist durchaus auch gut für uns, denn die jüngeren Generationen sind es ja gewohnt, online zu kaufen, und schauen oft zunächst dort nach. Das Internet ist also zumindest ein Türöffner für unsere Branche, ist aber von der Marktdominanz, wie wir sie beispielsweise im Buchhandel erleben, noch weit entfernt. Zudem ist die im Internet gezeigte Ware im Großen und Ganzen noch zu sehr Mainstream. Da findet man vor allem Maschinenwebteppiche oder eben günstige Standard-Knüpfware, aber wenige richtige Spezialitäten. Die braucht es allerdings, denn die Generation Internet ist ja inzwischen älter und anspruchsvoller geworden und will durchaus auch Höherwertiges kaufen. Trading-up findet im Internet nicht wirklich statt.

Carpet XL: Und gerade das Internet eignet sich besonders gut dafür, Ungewöhnliches zu zeigen. Also Dinge, die im Ladengeschäft zu viel Platz in Anspruch nehmen oder im Stapel untergehen würden.

Ipektchi: Diese Besonderheiten kann man online natürlich in vollem Umfang zeigen. Im Internet hat man ja praktisch die Welt als Kunden. Irgendjemand irgendwo wünscht sich wahrscheinlich genau diesen speziellen Teppich und weiß gar nicht, dass es ihn überhaupt gibt ... oder wo er ihn kaufen kann. Allerdings glaube ich, dass Interessenten die gehobene Ware noch nicht übers Netz kaufen. Maximal verschaffen sie sich dort einen Überblick; informieren sich über das Angebot und über Bezugsmöglichkeiten im Handel.

Carpet XL: Die Frage nach dem Woher ist ein großer Knackpunkt, gerade für anspruchsvollere Kunden und solche mit individuellem Geschmack. Im Einzelhandel findet man die ungewöhnlichen Sachen ja nur schwer. Das liegt wohl auch daran, dass es fast nur noch große Möbler mit Standardware gibt.

Ipektchi: Auch der Möbelhandel dürfte gern etwas experimentierfreudiger sein, zumal er dringend über Trading-up nachdenken muss. Beim Gabbeh zum Beispiel hat sich der Mut bezahlt gemacht: Da waren die Möbler erst sehr skeptisch, wenige Jahre später wurden die Teppiche in Massen geordert. So ist der Gabbeh letztlich auch zum Mainstream-Produkt geworden. Wenn die großen Einrichtungshändler nicht können oder nicht wollen, braucht es für die spannenden Themen vor allem die Facheinzelhändler, die es allerdings kaum noch gibt. Und den wenigen, die es noch gibt, fehlt häufig der Mut oder die Kraft für die kommerzielle Umsetzung.

Carpet XL: Viel Potenzial besteht wahrscheinlich auch bei Sondermaßen, bei 2,5 x 3,5 m oder größeren Formaten. Das Thema Wohnen, das Sich-zu-Hause-Wohlfühlen, wird ja immer wichtiger: Man setzt sich in gemütlicher Runde mit Freunden und Familie an den Tisch, da muss auch der Teppich entsprechend groß sein.

Ipektchi: Ja, für den 2,5x3,5- oder den 3x4-Teppich gibt es definitiv Kunden, aber diese Teppiche findet man kaum noch im Handel. Die Sortimente werden ausgedünnt, hochwertige oder großformatige Teppich werden nicht nachgekauft.

Carpet XL: Nun würde sich ein gut sortierter 2,5x3,5-Teppichstapel zum Beispiel für die meisten Einzelhändler nicht rechnen ...

Ipektchi: Der Einzelhändler muss diese Teppiche ja nicht alle vorhalten. Genau an dieser Stelle macht sich nämlich eine gute Zusammenarbeit mit den Importeuren bezahlt: Ware, die der Einzelhändler nicht vor Ort hat, kann er kurzfristig über uns beziehen. Aber nur wenige Handelskunden fragen beim Importeur nach, ob er über bestimmte Ware verfügt und diese kurzfristig anliefern kann. Das finde ich schade, weil dadurch viel Umsatzpotenzial verschenkt wird. Und zwar auf beiden Seiten: Beim Einzelhandel und beim Importeur.

Carpet XL: Problematisch ist für die Importeure sicher auch das Thema Direktimport.

Ipektchi: Klar, der umfangreiche Direktimport im Einzelhandel hat den Importeuren wehgetan und tut ihnen immer noch weh. Aber für große Handelsstrukturen und gewisse Warentypen erscheint der Direktimport auf den ersten Blick sicher sinnvoll: zum Beispiel für die gängige Brot-und-Butterware.

Wer allerdings ein vielfältigeres Sortiment anbieten will, das auch Ware mit einschließt, mit der man sich abheben kann, braucht die enge Zusammenarbeit mit den Importeuren. Dann macht jeder das, was er am besten kann: Der Einzelhändler verkauft, und der Importeur liefert punktuell nach, hält den Bestand immer aktuell, hat den Pool mit den Besonderheiten in der Hinterhand. Diese Kompetenz könnte und sollte der Handel in Zukunft noch viel stärker nutzen, denn so ist ein Trading-up durchaus möglich. Um dieses Angebot in sinnvoller Breite und Tiefe aufrechtzuerhalten, braucht der Importhandel aber auch das Brot- und Buttergeschäft.

Carpet XL: Wobei es die Besonderheiten sind, die die Teppichbranche spannend machen.

Ipektchi: Meiner Meinung nach wurde in den letzten Jahrzehnten zu stark versucht, den Teppich in eine "industrielle" Form zu pressen. Aber: Mit dieser Herangehensweise zerstört man den Teppich in seiner Ursprünglichkeit. Schließlich ist er ein kunsthandwerkliches Produkt mit Ecken und Kanten, das gerade von seiner Komplexität lebt. Rechenmodelle, die bei "industriellen" Einrichtungsartikeln funktionieren, sind nicht 1:1 auf individuelle Teppiche übertragbar und können das Geschäft letztlich sogar unmöglich machen.

Carpet XL: Haben denn individuelle Teppiche, die sich vom Einerlei abheben, keine Zukunft?

Ipktchi: Oh doch, der ursprüngliche, individuelle Teppich wird durchaus als Einrichtungsobjekt erhalten bleiben, denn er wird immer seine Abnehmer finden. Es stellt sich nur die Frage, welchen Anteil er am Gesamtmarkt hat. Und das wiederum liegt stark beim Einzelhandel und der Zusammenarbeit mit den Importeuren.

Der Lebensmitteleinzelhandel macht uns vor, wie es funktionieren kann: Während die Supermärkte bei weitem den größten Marktanteil übernommen haben, setzen sich doch immer wieder kleine Spezialitätengeschäfte oder Feinkostabteilungen in großen Häusern durch - für Menschen, die sich etwas Besonderes wünschen und bereit sind, dafür mehr Geld auszugeben. Diesen Weg kann ich mir auch für den Teppich vorstellen. Während die großen Teppichabteilungen das Hauptgeschäft rund um die Schnelldreher übernehmen, bedienen Fachabteilungen, Galerien und Facheinzelhandel den Geschmack jenseits des Mainstream. Wichtig ist es, Strukturen zu finden, die der Individualität des Produktes gerecht werden und gleichzeitig kommerziell darstellbar sind. Das wird die Herausforderung der Branche für die Zukunft sein.•
aus Carpet Magazin 02/17 (Wirtschaft)