Digitale Transformation als Gemeinschaftsaufgabe für Handel und Industrie


Am Thema Digitalisierung kommen Handel und Industrie nicht mehr vorbei. Wo die Herausforderungen liegen und welche Möglichkeiten es gibt, sie - gemeinsam - zu bewältigen, beleuchteten fünf Vorträge auf dem jüngsten Holzring-Symposium.

Wir surfen mit Smartphones, fahren Smartcars, wohnen in Smart Homes - das digitale Zeitalter verändert unser Alltagsleben, die Wirtschaft und die Gesellschaft in zunehmendem Tempo. Auch unsere Branche kann sich dem digitalen Wandel nicht entziehen. Primär konzentrieren sich die Aktivitäten derzeit darauf, innerhalb der Unternehmen Abläufe zu beschleunigen, zu vereinfachen und zu verbessern. Im B2B-Geschäft spielt Digitalisierung dagegen noch eine relativ kleine Rolle - erst 21 % der Handwerker kaufen online ein - und bei B2C eine noch geringere, wenn man von Onlineshops einmal absieht.

Noch denn mit dem Generationenwechsel wird auch ein Paradigmenwechsel stattfinden. Die Digital Natives, die digitalen Ureinwohner, sind mit dem Internet und dessen Möglichkeiten aufgewachsen und fühlen sich in der digitalen Welt heimisch. Längst schon sind Handwerk und Einzelhandel mit dem heutigen "Super-Empowerd-Customer" konfrontiert, dem digital vernetzen Kunden, der sich online informiert sowie Händler und Dienstleister auch bewertet. Daher gilt es für den (Groß-)Handel, die Digitalisierung nicht nur passiv zu beobachten, sondern rechtzeitig auf den Zug aufzuspringen.

Was heute schon möglich ist und wohin die Reise in der Zukunft gehen könnte, konnten die Teilnehmer auf dem jüngsten Holzring-Symposium erfahren. Sie erhielten nicht nur einen spannenden Einblick in die jüngsten Entwicklungen der Robotik und künstlichen Intelligenz, sondern erfuhren auch anhand von Best Practice-Beispielen, wie Kollegen die Digitalisierung umsetzen.

Was für den Holzhandel gilt, gilt unabhängig vom Produkt auch für "unseren" Handel. Und für "unsere" Industrie, denn alleine können weder die Händler noch die Hersteller das Thema bewältigen. Auf dem Symposium wurde deutlich, dass die Vernetzung miteinander und der Austausch von Daten wesentliche und unverzichtbare Elemente im nächsten Entwicklungsschritt sind.


Prof. Dr. Frank Kirchner: Kollege Roboter

Künstliche Intelligenz und Robotik sind die Schlüsseltechnologien bei der Digitalisierung von Service- und Produktionsprozessen - und das Fachgebiet des Informatikers und Neurowissenschaftlers Prof. Dr. Frank Kirchner, Standortleiter des Forschungszentrums für künstliche Intelligenz in Bremen. Er gab einen Einblick in den aktuellen Stand, der das Auditorium staunen und manchmal auch ein wenig frösteln ließ. Wissenschaftler arbeiten an künstlichen neuronalen Netzen, die mehr Dimensionen verknüpfen als biologische neuronale Netze. Dadurch werden Probleme lösbar, die bislang nicht lösbar erschienen - "weil wir Menschen nicht in diesen vielen Dimensionen denken können", wie Kirchner lakonisch sagte. Und intelligente Roboter sind anpassungsfähig, d.h. lernende Systeme.

Physische Avatare werden laut Kirchner die Arbeit grundlegend verändern. In der Industrie würden hybride Teams aus Menschen und Robotern eingesetzt, bei denen zum Beispiel die Roboter den Menschen schwere Lasten abnehmen. Ein Vorreiter hierbei ist VW. Die Wolfsburger führen in ihrem Smart Production Labor entsprechende Pilotprojekte durch.

Schon Realität sind EEG-Analysen, bei denen Computer über die Messung von Hirnsignalen vorhersagen können, wie ein Mensch agieren wird, noch bevor er dies selber weiß. Laufen wir also Gefahr, dass die Maschinen intelligenter werden als wir? Das konnte Kirchner nicht grundsätzlich verneinen und sagte klar: "Wir sollten uns darauf konzentrieren, nicht weniger intelligent zu werden."


Martin Reinhardt: Kunden elektronisch anbinden

Martin Reinhardt sieht gerade für die Logistik viel Potenzial durch die Digitalisierung. Der Geschäftsführer des Berliner Planungsbüros Reinhardt & Ahrens, das schwerpunktmäßig den Holz- und Baustoffhandel berät, ist überzeugt: Der gesamte Prozess kann produktiver und effizienter gestaltet, kundenrelevante Prozesse transparenter gemacht und Arbeitsabläufe ergonomisch verbessert werden. So würden im Ergebnis die Logistikkosten gesenkt, Liefersicherheit und Service optimiert und die Kundenzufriedenheit erhöht.

Dafür muss man verschiedene Hebel ansetzen. Einer ist die Konnektivität - die digitale Vernetzung von Mitarbeitern, Abteilungen und Betriebsmitteln - nicht nur in der eigenen Firma, sondern auch mit Lieferanten und Kunden. Ein anderer sind innovative Technologiekonzepte wie moderne Automatisierungstechnik. Ein heterogenes Sortiment dürfe dabei kein Hinderungsgrund sein: "Es gibt ohnehin kein Unternehmen, dass all diese Bausteine umsetzt." Zu einer Maßnahme riet er allerdings dringend: "Binden Sie Ihren Kunden elektronisch an."


Dr. Mario Hölscher: Digitalisierung ist Chefsache

Als Best Practice-Beispiel aus dem Großhandel beschrieb Dr. Mario Hölscher, geschäftsführender Gesellschafter der Fries-Gruppe, was die digitale Transformation für sein Unternehmen bedeutet. Für Fries sei die Digitalisierung nie "richtig oder falsch" gewesen, sondern zweckmäßig und zwangsläufig notwendig - allein schon durch die überregionale Struktur mit 14 Niederlassungen: "Sie ist kein Selbstzweck, sondern hat dienenden Charakter". Nutzebenen sieht Hölscher primär in Effektivität ("die richtigen Dinge tun"), Effizienz ("die Dinge richtig tun"), Alleinstellung und Mitarbeiterbindung.

Konkret vereinfache und beschleunige sie Prozesse im Unternehmen. In der Logistik etwa werden bei Fries heute von elf Arbeitsschritten nur noch drei von Menschen ausgeführt, alles andere ist automatisiert. Digitalisierung optimiert den Kundenservice, denn "wir sehen uns als Dienstleister. Produkte sind austauschbar, die Serviceleistung macht den Unterschied." Dafür wurde der Webshop aufgesetzt; ausschließlich B2B versteht sich, da Fries als reiner Großhändler keine Endverbraucher bedient.

Die Onlineplattform ist gezielt an den Bedürfnissen des Kunden orientiert. "Er muss es möglichst einfach und bequem haben, und das an jedem Punkt der Customer Journey." Dafür bietet www.fries24.de rund um die Uhr Zugang zum Sortiment, komfortable Navigations- und Suchfunktionen und Features wie Echtzeit-Anbindung und Kundenmodus.

Hölscher sieht Digitalisierung eindeutig als "Chefsache" und nicht als Aufgabe der IT-Abteilung. Sieben Mitarbeiter beschäftigen sich Vollzeit damit. Aber der Geschäftsführer betont auch: "Kein Unternehmen kann die Digitalisierung unserer Branche alleine voranbringen. Wir benötigen noch hochwertigere Daten, tiefergehende Schnittstellenvernetzungen und zuverlässigere Logistikinformationen." Diesen Anspruch müssten Industrie und Handel gemeinsam an sich stellen.


Bernd Kressmann: Nur gemeinsam zum Erfolg


Das Internet ist heute häufig der erste Berührungspunkt des Verbrauchers mit dem Handel, stellte Bernd Kressmann fest, Geschäftsführer von Türenhersteller Jeldwen. Dort erwarte der Kunde Transparenz, Einfachheit, Geschwindigkeit, klare und verlässliche Informationen. "Einen Katalog als PDF zu hinterlegen reicht nicht." Angesichts der Veränderungen im Kundenverhalten forderte er: "Wir müssen überall dort hingehen, wo die Menschen digital unterwegs sind und dürfen nicht darauf warten, bis sie zu uns kommen." Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die jüngeren Generationen, die Digital Natives, die zunehmend an Bedeutung gewinnen: "Die kommen nicht von allein, sondern vergessen die, die nicht zu ihnen kommen."

Aber: "Nur eine gemeinsame, einheitliche Lösung führt zum Erfolg", unterstrich Kressmann. Mit Insellösungen sei es unmöglich, die gesamte Wertschöpfungskette zielführend abzudecken; dDas könne nur im Zusammenspiel erfolgen. Sein Appell an Handel und Industrie: "Wir müssen vorhandene Hemmnisse überwinden, ein gemeinsames Verständnis für Kundenansprüche entwickeln, personelle Ressourcen für die Digitalisierung bereitstellen, die Produktkomplexität verringern und nicht zuletzt Egoismen abbauen."

Prof. Dr. Utho Creusen: Menschen für den Wandel begeistern


Die Digitalisierung ist nicht nur ein technisches Phänomen, sie bringt weitreichende strategische, organisatorische und soziokulturelle Veränderungen mit sich - auch was Unternehmensstrukturen betrifft, weiß Unternehmensberater Prof. Dr. Utho Creusen, einst Personalvorstand bei Obi. Kommunikation, Zusammenarbeit und Führung verändern sich im digitalen Zeitalter, nicht zuletzt auch durch die Möglichkeiten des orts- und zeitunabhängigen Arbeitens. Mitarbeiter müssen neue Rollen und Freiheiten erhalten; Führungskräfte sind keine autoritären Problemlöser mehr, sondern müssen sich zu Netzwerkern entwickeln, ihre Mitarbeiter stärken, Fehler zulassen und für den Wandel begeistern. "Das ist künftig ihre Kernaufgabe." Als Vorbilder nannte Creusen Start-ups, die ganz anders aufgestellt sind und agieren als klassische Unternehmen.
aus Parkett Magazin 02/18 (Handel)