Bei der Digitalisierung ist im Handwerk noch Luft nach oben


Handwerk und Digitalisierung, das klingt wie ein unauflösbarer Gegensatz. Ist es aber nicht und darf es auch nicht sein, wenn Handwerksbetriebe ihre Kunden nicht an die Konkurrenz verlieren wollen. Das beginnt mit der innerbetrieblichen Organisation, bei der digitale Hilfsmittel eindeutig für mehr Überblick, Effizienzsteigerung und die Vereinfachung von Abläufen sorgen. Und das endet beim Kontakt mit dem Kunden, der - ganz gleich ob privat, gewerblich oder öffentlich - heute selbstverständlich davon ausgeht, dass etwa die Kommunikation nicht wie früher nur auf Telefon und Faxgerät beschränkt bleibt.

Was auf der einen Seite Vorteile bringt, bedeutet auf der anderen beispielsweise finanzielle Investitionen oder die Bereitschaft, eingespielte Abläufe aufzugeben, Neues anzunehmen, sich weiterzubilden. Wobei zu allererst die Frage beantwortet werden muss: Was brauche ich für meinen Betrieb wirklich und wie kann ich das erreichen? Schon das ist eine Herausforderung für viele Firmenchefs.

Große Firmen aktiver als kleine

Wie es um die Digitalisierung im Handwerk steht, haben der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sowie 42 Handwerkskammern im Frühjahr 2018 mittels einer Umfrage herausgearbeitet. Insgesamt habe das Thema an Bedeutung gewonnen, so die Erkenntnis.

Kein Überraschung ist dabei, dass größere Betriebe sich eher Maßnahmen zur Digitalisierung widmen als kleine. Das hängt mit den finanziellen Möglichkeiten, aber auch mit den personellen Ressourcen zusammen. Außerdem machen beispielsweise digitale Arbeitszeiterfassung oder Routenplanung in einer Firma mit 40 Beschäftigten durchaus Sinn, bei zwei oder drei Angestellten geht es vielleicht auch ohne. Jedenfalls haben knapp zwei Drittel (64 %) der Unternehmen mit 50 oder mehr Mitarbeitern bereits digitale Veränderungen durchgeführt. In den Betriebsgrößen 20 bis 49 sowie fünf bis 19 sind es 51 %. Aber auch bei Klein- und Kleinstbetrieben mit bis zu vier Beschäftigten liegt die Quote inzwischen bei 20 %.

Dabei setzen die Handwerker klare Prioritäten, in welchen Bereichen digitale Technik zum Einsatz kommen soll. Und die Reihenfolge ist bei den Firmen, die schon aktiv wurden, identisch mit der von Unternehmen, die in den kommenden zwölf Monaten Aktivitäten planen; nur die Prozentwerte weichen voneinander ab. Ganz oben auf der Liste steht die Digitalisierung von Geschäftsprozessen. Die Erschließung neuer Kundenkreise sowie der Themenkomplex Datenschutz/Cybersicherheit folgen auf den Plätzen zwei und drei. Für Technologien und Produktionsprozesse spielt Digitalisierung gegenwärtig ein ebenso geringe Rolle wie für die Entwicklung neuer Geschäftsfelder.

Nur 25 % sehen bereits positive Effekte

Unterschiede nach Unternehmensgröße hat der ZDH auch bei der Bewertung bereits durchgeführter Digitalisierungsmaßnahmen festgestellt. Einfach formuliert: Je größer der Handwerksbetrieb, um so zufriedener ist man dort mit den Auswirkungen. Insgesamt sind aber lediglich 3 % explizit unzufrieden. Die Effekte positiv bewerten 25 %. Die große Mehrheit hat sich noch keine Meinung gebildet (43 %) oder sieht die Ergebnisse weder positiv noch negativ (29 %).

Der fehlende Nutzen für den Betrieb ist auch einer der wesentlichen Gründe dafür, dass die Digitalisierung in den Handwerksfirmen nicht vorangetrieben wird. Nur fehlende personelle und zeitliche Ressourcen sind ein noch größeres Hemmnis. Über alle Gewerke hinweg ist die Auslastung der Betriebe gegenwärtig einfach zu hoch; es bleibt keine Zeit, sich dem Thema zu widmen.

Und so waren es auch nur 26 %, die in den zwölf Monaten vor der Umfrage digitale Veränderungen vorangetrieben haben - viel weniger als die rund 50 %, die das grundsätzlich schon einmal getan haben. Und auch in den kommenden zwölf Monaten sieht es nicht besser aus. Drei Viertel tun gerade also gar nichts in dieser Hinsicht.

Fehlende Förderprogramme führen übrigens nur 15 % als Grund gegen den digitalen Transformationsprozess an. Am Geld liegt es nicht, dass dieser im Handwerk noch nicht so recht in Schwung kommen will. | thomas.pfnorr@snfachpresse.de

Methodik der Umfrage
32 Handwerkskammern in West- und zehn in Ostdeutschland haben ihre Mitglieder postalisch, per E-Mail, telefonisch und mittels Newsletter zur Teilnahme an der Umfrage "Digitalisierung im Handwerk" aufgefordert. Diese konnten postalisch, per Fax oder online antworten. Insgesamt beteiligten sich 8.912 Betriebe aus dem Bauhaupt- und Ausbaugewerbe, dem Kfz-, Lebensmittel- und Gesundheitsgewerbe, Handwerken für den gewerblichen Bedarf und dem personenbezogenen Dienstleistungsgewerbe. Weil sich größere Unternehmen relativ häufiger beteiligt haben als kleinere, wurden die Gesamtergebnisse anhand aktueller Beschäftigtengrößenzahlen gewichtet und auf das Gesamthandwerk hochgerechnet.


Ein Kommentar von Thomas Pfnorr
Handwerkskammern und Innungen sind gefordert

Im Handel bedeutete Digitalisierung lange Zeit vor allem eines: Konkurrenz aus dem Internet und die Angst vor dem Aus für das eigene Unternehmen. Für manche Branche war das berechtigt - versuchen Sie heute mal, einen DVD-Verleih zu finden. Man kann es aber auch positiv sehen: Amazon & Co. sorgen dafür, dass der Fachhandel sein Geschäftsmodell überdenkt, neue Ideen entwickelt, auch selbst im Netz aktiv wird.

Im Handwerk ist das anders und es wird deutlich, dass Digitalisierung nicht gleichzusetzen ist mit einem Onlineshop. Einen Konkurrenten wie Amazon gibt es hier nicht: Kein digitaler Helfer kommt zum Kunden nach Hause und verlegt den Bodenbelag oder streicht die Küche. Wer das nicht selbst tun möchte, beauftragt nach wie vor einen Handwerker. Digitalisierung im Handwerk, das ist Software für die Betriebsführung, das sind neue Kommunikationsmittel - intern wie nach draußen zum Kunden -, das ist elektronischer Datenaustausch auch zwischen kooperierenden Betrieben. Der Konkurrent ist hier jeweils der Handwerksbetrieb, der die Nase digital weiter vorne hat, den die potentiellen Kunden im Netz schneller finden, der seine Leistung günstiger anbieten kann, weil seine Abläufe effizienter und kostensparender sind, der vielleicht die besseren Mitarbeiter hat, weil er mit seinem digitalen Konzept als besonders attraktiver und zukunftsorientierter Arbeitgeber gilt.

Daher finde ich es überraschend, dass in den zwölf Monaten vor der Umfrage nur ein Viertel der Handwerksbetriebe beim Thema Digitalisierung aktiv war. Offenbar liegt’s an der aktuell guten Auftragslage, vielleicht an falschen Vorstellungen von finanziellen, personellen und organisatorischen Belastungen. Vielleicht ist es eine Altersfrage und mit der nächsten Generation Chefs wird alles anders. Angst vor der Digitalisierung haben Handwerker heute schon nicht mehr: Lediglich 7 % betrachten sie eher als Risiko. Aber auch nur 27 % als Chance. Digitale Euphorie sieht anders aus.

Hier sind Handwerkskammern und Innungen gefordert. Sie müssen Aufklärungsarbeit leisten, aus dem riesigen theoretischen Thema ein ganz konkretes für die Betriebe machen: Was kann Digitalisierung für mich bedeuten, wo kann ich ansetzen, wie gehe ich das ganz praktisch an, wie finanziere ich das - diese Fragen müssen beantwortet werden, damit gerade kleinere Firmen die Notwendigkeit zur Veränderung erkennen und den Anschluss nicht verpassen. Kleine Schritte reichen erst einmal völlig aus. Aber die sollten die Firmen nicht alleine gehen müssen.
aus BTH Heimtex 10/18 (Handwerk)