Rendite-Berechnung nach finanzwirtschaftlichen Kriterien

Verdient der Großhandel genügend Geld?

Vor einigen Jahren bezifferte ein großer Bodenbelagshersteller die durchschnittliche Rendite im Bodenbelagsgroßhandel auf minus 1%. Das halten viele für zu niedrig. Wo liegt sie tatsächlich? Und wo sollte sie nach regulären finanzwirtschaftlichen Kriterien liegen? Das hat der stellvertretende Copa-Aufsichtsratssitzender Martin Geiger als erster anhand konkreter Großhandels-Zahlen mit dem Umlaufvermögen als Bemessungsgrundlage untersucht. Sein Fazit: Die Marge des Großhandels ist zu gering.

Die Situation in unserer Branche ist gekennzeichnet durch rückläufige Märkte, Überkapazitäten auf der Angebotsseite, sinkende Preise, steigende Kosten und daraus folgend einer andauernden Ertragsschwäche. Damit der Großhandel angesichts dieses schwierigen Umfeldes die Zukunft erfolgreich gestalten kann, ist eine kritische Bestandsaufnahme notwendig. Wer weiterhin passiv verharrt und auf Schützenhilfe von außen wartet, gefährdet ernsthaft seine Existenz. Ein magerer steuerlicher Gewinn am Jahresende reicht zum dauerhaften Überleben nicht mehr aus.

Vielmehr muss der Großhandel daran arbeiten, eine höhere Rentabilität für sein eingesetztes Kapital zu erzielen und sich dabei mit Konzepten oder Kennziffern wie Gesamtkapitalrentabilität, Return on Investment (ROI) oder Weighted-average cost of capital (WACC) auseinandersetzen.

Was heißt das?

Die Kennziffer Gesamtkapitalrentabilität misst die Verzinsung des gesamten investierten Kapitals in einem Unternehmen. Unter Kapital ist in diesem Sinne das gesamte, mehr kurzfristig investierte Kapital zu verstehen, das notwendig ist, um den Betrieb am Laufen zu halten - also die Aktivposten einer Firma, auch als Umlaufvermögen (Working Capital, current assets) bezeichnet. Das Anlagevermögen bzw. Immobilien soll nicht in diese Betrachtung einfließen, da durch unterschiedliche Vermögensverhältnisse wie eigener Besitz, Miete, Betriebsaufspaltung etc. keine Vergleichbarkeit möglich ist. Außerdem ist eine Immobilie unter Rentabilitätsaspekten anders zu beurteilen als das Umlaufvermögen. Wir gehen jetzt einfach einmal davon aus, dass der Großhandel in der Regel in den operativen Kosten eine ausreichende Verzinsung bzw. effektive oder kalkulatorische Miete berücksichtigt .

Das Umlaufvermögen gliedert sich beim Großhandel in die Bereiche Außenstände mit Kundenforderungen und Debitoren sowie Warenlager und Betriebsausstattung mit Wirtschaftsgütern und beweglichen Gütern.

Die Höhe des in den Außenständen investierten Kapitals richtet sich nach dem Zahlungsverhalten der Kunden des jeweiligen Grossisten.

Momentan ist es um die Zahlungsmoral nicht immer zum Besten bestellt, der Großhandel wird häufig als vorfinanzierendes Bankinstitut genutzt und somit können bei den Forderungen erhebliche Summen auflaufen. Im Schnitt lag die durchschnittliche Außenstandsdauer im Großhandel 2003 bei 45 Tagen, hat das IfH (Institut für Handelsforschung an der Universität zu Köln) ermittelt. Umgerechnet bedeutet dies, dass 12,5% des Umsatzes in Kundenforderungen investiert werden müssen.

Zur besseren Veranschaulichung nehmen wir einen fiktiven Großhandelsbetrieb mit 10 Mio. EUR als Beispiel. Danach hätte er 1,25 Mio. EUR Kapital in Außenständen gebunden.

Auch in das Warenlager fließen erhebliche finanzielle Mittel. Bei einem durchschnittlichen, über alle Umsatzarten geschätzten Lagerumschlag von 6mal sind also weitere 12,5% vom Umsatz im Lager investiert. Bei unserem Beispiel-Großhandel kommen wir bei 10 Mio. EUR Umsatz und einer geschätzten Handelsspanne vor Rückvergütungen von 25% auf Aufwendungen von 1,25 Mio. EUR für das Lager.

Das schwierigste Unterfangen ist jetzt, den Wert der benötigten Betriebsausstattung zu ermitteln. Bislang taucht dieser Wert auch in keinem Betriebsvergleich oder einer ähnlichen Veröffentlichung auf. Manche Unternehmen können diesen Wert auch gar nicht exakt bestimmen. Was fällt überhaupt unter die Betriebsausstattung? Das sind alle Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte, die für den laufenden Betrieb notwendig sind wie Regale, Schneideanlagen, KfZ, Computer, Software, Mobiliar, Ausstellungs-Ausstattung etc. Dabei müssen die Werte der Wiederbeschaffung berücksichtigt werden, da nur diese die effektive Substanzerhaltung bzw. Substanz widerspiegeln.

Da die Wirtschaftsgüter eine bestimmte Funktion im Betrieb ausüben, ist es notwendig, diese Substanz mit realen Werten zu betrachten und nicht mit beliebigen Abschreibungswerten, die nach steuerlichen Gesichtspunkten optimiert sind. Denn: Wird zum Beispiel ein Stapler defekt, der 15 Jahre in Betrieb und längst auf 1 EUR abgeschrieben ist, muss er zum Neupreis ersetzt werden... Die aktuellen exakten Wiederbeschaffungswerke sind allerdings kaum zu ermitteln, können jedoch mit dem Wiederbeschaffungsindex gemäß der Feuerversicherung annäherungsweise hochgerechnet werden.

Auch müssen Leasingobjekte mit berücksichtigt werden; wobei die Leasingraten wie die Fremdkapitalzinsen aus den operativen Kosten herausgerechnet werden müssen. Nach eigenen Recherchen sind ca. 15% des Umsatzes für die Betriebsausstattung notwendig, damit eine ordnungsgemäße Leistung erbracht werden kann.

Unser Beispiel-Großhandel müsste also 1,5 Mio. EUR in Betriebsmittel investieren. Die Rechnung können wir noch weitertreiben: wenn wir von einem durchschnittliche Pro-Kop-Umsatz von 250.000 EUR im Großhandel ausgehen (Quelle: IfH), würde unser 10 Mio. EUR-Großhandel 40 Mitarbeiter beschäftigen. Die 1,5 Mio. EUR für Betriebsausstattung auf die Mitarbeiter umgelegt, müssten für jeden Arbeitsplatz im Schnitt 37.500 EUR investiert werden, sprich knapp 40.000 EUR.

Alles addiert - Außenstände, Warenlager, Betriebsausstattung - hat ein Großhandel unserer Branche also 40% seines Umsatzes in das Umlaufvermögen investiert. Bei unserem Beispiel-Großhändler mit 10 Mio. EUR Umsatz wären das 4 Mio. EUR, die sich verteilen auf 1,25 Mio. EUR bzw. 31% Außenstände, weitere 1,25 Mio. EUR bzw. 31% Warenlager und 1,5 Mio. EUR bzw. 38% Betriebsausstattung. Das sind erhebliche Summen, mit denen jedes Unternehmen gut wirtschaften muss. Unter "wirtschaften" wird der rationale Umgang mit knappen Gütern verstanden. Kapital ist ein knappes Gut und sucht immer nach den besten Anlageformen. Deshalb muss jedes Unternehmen dafür einen Preis gleich Zins entrichten, sei es effektiv oder kalkulatorisch. Erst der erwirtschaftete Zins entscheidet darüber, ob das Kapital am rationalsten investiert wurde.....

Wir wollen jetzt sozusagen als Benchmark ermitteln, welcher Zinssatz im Großhandel erzielt werden muss, um die vorher genannten Bedingungen zu erfüllen. Denn das ist entscheidend für die Zukunftsfähigkeit.

In der Betriebswirtschaft gibt es dazu unzählige Abhandlungen und Bewertungsmethoden. Wir gehen bei unserer Betrachtung von der Ertragswertmethode aus. Ausgangspunkt ist ein Basis-Zinssatz für langfristige risikofreie Kapitalanlagen, etwa Staatsanleihen.

Gegenwärtig wird für 30jährige deutsche Staatsanleihen ein Zins von 4,73% gezahlt. Bei einer steigenden Zins-Prognose und der leichteren Rechenbarkeit wegen, legen wir den Basi-Zinssatz auf 5,50% fest. Die Inflation ist darin bereits enthalten und kann deshalb bei unserem Rechenexempel außen vor bleiben. Aber: Der Basis-Zinssatz enthält kein Verlustrisiko. Da Wirtschaftsbetriebe dieses Risiko tragen müssen, rechnen wir einen einen Risikozuschlag hinzu. Allgemein wird von einem Zuschlag von 50% auf den Basis-Zinssatz ausgegangen, bei unserem Beispiel würde der Risikozuschlag also 2,50% betragen.
Staatsanleihen sind jederzeit veräußerbar, das heißt, man kann sie zeitnah in liquide Mittel umwandeln. Im Gegensatz dazu sind die finanziellen Mittel in einem Betrieb langfristig gebunden und können nur unter erheblichen Abschlägen "flüssig" gemacht werden. Also addieren wir auch einen Mobilitätszuschlag hinzu, der speziell in unserer Branche 40% des Basis-Zinssatzes ausmacht, entsprechend 2,00%.

Von entscheidender Bedeutung ist gerade in unserer Branche zudem die Berücksichtigung vn Forderungsausfällen. Es ist davon auszugehen, dass im Laufe eines Jahres 5,0% der Außenstände uneinbringbar verloren gehen. Bei einem Anteil der Außenstände von 31% am Umlaufvermögen muss danach das gesamte investierte Kapital ein Zins von 1,50% für Forderungsverluste erwirtschaften.

Des weiteren sind in der Regel per anno 10% des durchschnittlichen Lagerbestandes als Verlust auszubuchen. Das mag zunächst recht hoch erscheinen, doch mit Blick auf Abverkäufe bei Kollektionswechseln, die immer unter Einstandswert erfolgen, Rollenresten und Restposten generell, Beschädigungen, Schwund und Fehlverladungen wird plausibel, dass dieser Wert einkalkuliert werden muss, auch wenn er am Jahresende nicht in dieser Höhe ausgewiesen wird. Bei einem Anteil des Warenlagers von 31% am Umlaufvermögen sind somit 3,00% für Lagerverluste einzukalkulieren.

Insgesamt kommen jetzt zu unserem Basis-Zinssatz von 5,50% hinzu:
- 2,50% Risikozuschlag
- 2,00% Mobilitätszuschlag
- 1,50% Zuschlag für Forderungsverluste
- und 3,50% Zuschlag für Lagerverluste.

Daraus ergibt sich insgesamt ein kalkulatorischer Zinssatz von 15,00% - und das ist der Wert, mit dem der Großhandel sein Umlaufvermögen kalkulatorisch verzinsen müsste.

Wieder auf unseren Beispiel-Großhändler umgesetzt, würde das bei einem Umlaufvermögen von 4 Mio. EUR einen kalkulatorischen Wert von 600.000 EUR bedeuten, was wiederum 6,00% des Umsatzes von 10 Mio. EUR entspricht. Dieser Wert mag sehr hoch empfunden wreden, entspricht aber den Jahresberichten von börsennotierten Unternehmen - und wird von Banken in dieser Höhe gefordert. So weit unsere Modellrechnung; wie sieht nun die Realität aus? Auch wenn die Fremdkapitalkosten von diesem kalkulatorischen Wert abgezogen werden, ist offensichtlich, dass der Großhandel gegenwärtig weit davon entfernt ist. Das bestätigen auch die Ergebnisse des jährlichen Betriebsvergleichs.

Dabei ist es nicht nur im Hinblick auf Basel II und die Ratingkriterien, die zum großen Teil auf Bilanz- und Kapital-Kennzahlen basieren, notwendig, eine ausreichende Verzinsung des eingesetzten Kapitals zu erreichen, sondern auch, um dessen Zukunftsfähigkeit zu sichern. Sicher kann der Großhandel versuchen, weiter an der Kostenschraube zu drehen, doch dieser Weg ist endlich. Alternativ kann er bei Preisgestaltung und Margen ansetzen. Wobei sich jeder Großhändler die Frage stellen muss, ob er diese kalkulatorischen Kosten in der Vergangenheit ausreichend in seinen Preisen berücksichtigt hat - insbesondere bei den Objektpreisen. Bei Aufschlägen von teilweise nur 50 Cents pro Quadratmeter ist das natürlich nicht der Fall. Hier muss künftig mehr Rationalität walten und die Preise drastisch angehoben werden - zum Wohle aller. Denn davon profitiert die gesamte Branche.

Über dies hausgemachte Problem hinaus, gewährt auch die Industrie dem Großhandel keine ausreichende Marge, um den kalkulatorischen Zins zu verdienen. Der Großhandel übernimmt in der Bodenbelagsbranche eine wichtige Funktion, für die allein er 40% seines Umsatzes investieren muss - das muss in der Margenkalkulation der Hersteller enthalten sein.

Die tatsächlichen Margen sind aber mit einem Spektrum von 12 bis 23,5% bei textilen Belägen, um 15% bei elastischen Belägen und 22 bis 30% bei Verlegewerkstoffen und Zubehör viel zu knapp. Übrigens sind auch beim zweistufigen Vertriebs die Großhandels-Funktionen zu erfüllen und entsprechend in der Kalkulation zu berücksichtigen.

Natürlich ist die Strategie eines jeden Großhändlers darauf ausgelegt, seine Marge zu optimieren; diese Tendenz wird anhalten, so lange die heutige Preispolitik beibehalten wird. Laut IfH-Betriebsvergleich kommt der Großhandel auf eine Break-Even EBIT-Marge (das EBIT sind die Earnings before interests and taxes, also das Ergebnis vor Abschreibungen und Steuern) von 28,7% vom Umsatz. 6% kalkulatorischen Zins hinzugerechnet, müsste er also eine Marge von 34,70% haben - das ist unser Benchmark, die es zu erreichen gilt.
aus BTH Heimtex 09/04 (Großhandel)