Gesellschaftlicher Wandel birgt neue Märkte

Der Großhandel wird auch künftig von stategischer Bedeutung für die Industrie sein

Niemand in unserer Branche kann es sich leisten, die Veränderungen zu ignorieren, die unsere Gesellschaft heute und morgen prägen. Die Zeit ist reif für ein Umdenken in neue Begrifflichkeiten wie auch für die Fokussierung neuer Zielgruppen. Für den Großhandel birgt der Wandel hervorragende Chancen, wenn er sich strategisch auf die veränderten Rahmenbedingungen einstellt, meint Herbert Schmitmeier und sagt auch, wo diese Chancen liegen.

In der deutschen Bauwirtschaft ist die Konjunkturkrise schon ein Dauerzustand und über die nächsten Jahre sind aus gegenwärtiger Sicht keine merklichen Impulse auf der Nachfrageseite zu erwarten: Im Wirtschaftsbau halten sich die Investoren zurück. Im öffentlichen und im Wohnungsbau muss ebenfalls mit weiteren Rückgängen gerechnet werden. Hinzu kommen Überkapazitäten an Gebäudeflächen, vor allem in den neuen Bundesländern, weshalb vom Neubauvolumen langfristig kein spürbares Wachstum ausgehen wird. Großhandel und Handwerk können sich dieser Lage ebenso wenig entziehen, wie diese ihre Auswirkungen auf die gesamte Ausbaubranche hat.

Renovierungsvolumen
Der Wind ist raus aus dem Neubau; dem steht jedoch ein Renovierungs- und Modernisierungsvolumen gegenüber, das zu einem bestimmenden Potential des Marktes unserer Branche werden wird (Tab. 1) - zumal die Bestandförderung im Rahmen der Eigenheimzulage erhalten bleibt und bei vielen Gebäuden der 60er und 70er Jahre inzwischen zur Sanierungen anstehen.

Doch der Renovierungsmarkt stellt für das Handwerk noch größere Herausforderungen dar als der Neubau. Er erfordert spezifische Fachkenntnisse, gut abgestimmte Produktsysteme sowie eine perfekte Organisation der Arbeitsabläufe, um beispielsweise im Objektgeschäft den Betrieb während der baulichen Maßnahmen nicht mehr als notwendig zu stören.

Wachstumssegmente
Wachsende Flächen versprechen vor allem Wellness- und Freizeiteinrichtungen sowie Hotellerie und Kurkliniken, die durch ein verändertes Profil den Anforderungen der Nutzer entsprechen müssen. Bis 2010 wird sich die Zahl der Gesundheitsurlaube noch einmal verdoppeln. Dann werden die Bundesbürger mehr als ein Drittel ihrer gesamten Urlaubszeit mit Wellness, Beauty und Anti-Aging zubringen. Und der Gesundheitsreform können wir die Botschaft entnehmen, dass von der Klinik bis zum Seniorenheim die gelungene Ausstattung zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil wird. Flächenzuwächse versprechen aber auch als Konsequenz aus der Pisa-Studie neue Bildungseinrichtungen.

Unser Land wird jedoch nicht größer und nicht reicher. Daher sind zur Finanzierung öffentlicher Projekte private Betreibermodelle gefragt, die von einem Denken in Ziel- bzw. Nutzergruppen gesteuert sind.

Eine neue Kultur von Entscheider zieht ein - nicht der Architekt, nicht der Generalunternehmer, nicht der Bauherr/Investor bestimmt die Innenausstattung, sondern der Mieter: Aus einmal 10.000 qm werden plötzlich 20 mal 500.

Individualisierung
Bei Privatkunden ist es das Erfüllen individueller Wünsche, was zählt. Im Objekt wächst mit kürzer werdender Mieter-Schlange deren Einfluss bei der Ausstattung. Diese zunehmende Individualisierung des Geschmacks vergrößert die Vielfalt der Nachfrage und erfordert daher ein komplexeres Angebot. Die Devise lautet: Je individueller und komplizierter die Aufgabe, desto besser für das Handwerk. Das eröffnet dem Großhandel als Lieferant des Handwerks erhebliche Chancen, da es zu seinen Hauptaufgaben gehört, eine entsprechende Sortimentsbreite und Tiefe sowie dazugehörige Leistungen anbieten.
Polarisierung

Die Kaufpyramide der Zukunft kennt das Segment der Mitte kaum noch. Der Wandel im Kaufverhalten führt zu einer immer stärkeren Polarisierung der Vertriebswege: Discount versus Handwerk/Dienstleistung

Die bisherigen Vorstellungen von Vertriebsstrukturen, Verbraucherverhalten und herkömmliche Marketing-Tools sind mehr und mehr in Frage zu stellen. Wer sich ein Stück des qualitätsträchtigen Kuchens abschneiden will, muss die Verbraucheransprache für Objekt und Wohnen signifikant verbessern. Das geht nur mit einer arbeitsteiligen Vorgehensweise, denn der Faktor Zeit wird immer stärker zu einer erfolgskritischen Unternehmensgröße.

Ebenso kann die Erwartung dienstleistungsfähiger Verbrauchergruppen nach individuellen Botschaften, die ihre soziale und ökonomische Situation reflektieren, nur durch Vernetzungen erfüllt werden, die den gesamten Prozess bewerkstelligen, anstatt parallel nebeneinander herzulaufen.

Das Zeitalter strategischer Allianzen und die konsequente Reduzierung auf konzeptfähige Lieferanten ist angebrochen. Beim Großhandel werden mehr Spezialisten gefragt sein, denn nirgends steht geschrieben, dass einer alles liefern muss.

Zielgruppen
Schon heute wird klar: Die Baby-Boomer sind die "ewige Zielgruppe". Früher waren sie umworben, weil sie jung waren. Zukünftig werden sie umworben, weil sie alt sind. In weniger als zehn Jahren werden sie zusammen mit ihren Eltern und Großeltern unsere Gesellschaft prägen. Die neuen Alten sind jedoch ganz anders als die alten Alten. Immer mehr Menschen über 50 fühlen sich deutlich jünger und sie sehen auch so aus. Ihr Lebensgefühl zeigt, wir werden das landläufige Bild von "alt" in Zukunft revidieren müssen.

Ältere Menschen im Arbeitsleben, die demografische Entwicklung - Geburtenrückgang einerseits und längeres Leben andererseits - wird der Gesellschaft keine Alternative lassen. Der Anteil der Arbeitnehmer über 50 wird 2010 bei über 30% liegen. Der Anteil der Arbeitnehmer bis 30 wird 2010 dagegen bei rund 20% verharren. In den Händen der jungen Senioren liegt dann die Kontrolle über 70 % des Vermögens. Hier entstehen neue Märkte von morgen.

Markttransparenz
Die Mikrodatenbank von Intermarket beleuchtet die räumliche Konzentration von Unternehmen aus Handel, Handwerk und Dienstleistung im Bereich Raumausstattung, Boden und Farbe. Sie macht die lokalen und regionalen Märkte für Produkte und Dienstleistungen transparent und gibt das Verbraucherpotential nach sozialer und ökonomischer Struktur zu erkennen. Dieses Basiswissen zeigt damit zielgerichtete Wertschöpfungsaktivitäten und Standortfaktoren für die Vernetzung von Marktpartner auf .

Von über 38 Mio. Haushalten in Deutschland sind rund 12 Mio. Haushalte "dienstleistungsfähig". 440 Stadt-/Landkreise in Deutschland zeigen die jeweiligen Verbrauchsmengen der verschiedenen Bodenbelagsarten. Diese Nachfrage nach handwerklicher Dienstleistung stellt für Großhandel und Handwerk eine enorme Chance dar. Doch nur mit exakter Positionierung von Produkten und Serviceleistungen wird den hohen Anforderungen dieser Zielgruppe entsprochen werden können. Somit werden Qualität und Qualifizierung zu noch wichtigeren Erfolgsfaktoren. Die Aus- und Weiterbildung ist ein Thema, das deshalb an oberster Stelle anzusiedeln ist.

Vertriebsstruktur - strategische Allianzen
Rund ein Drittel - ca. 25 Mio. qm - der Marktversorgung Tufting für den Wohnbereich werden über den Großhandel abgewickelt. Was das Objektgeschäft betrifft liegt sein Anteil bei etwa 40%, entsprechend 22 Mio. am. Wertbezogen beeinflusst der Großhandel insgesamt sogar mehr als 50% des Marktes. Das zeigt deutlich, dass der Großhandel in Deutschland neben seiner starken Position als Distributionspartner auch zukünftig von strategischer Bedeutung für die Industrie sein wird. Die Tendenz erfolgreicher Verbandspolitik im Großhandel geht eindeutig in die Richtung: "Weg von der alleinigen Preis- und Konditionsvereinbarung hin zum Know-How-Pool' im Sinne von Vermarktungsberatung und Dienstleistungsprofilierung der Mitgliedsunternehmen."
In der strategischen Partnerschaft des Großhandels werden konzeptfähige Lieferanten eine wichtige Rolle spielen, die in der Zusammenarbeit - bis hin zum Handwerk - zu einer fokussierten Vorgehensweise mit anspruchsvollem Mittel- und Methodeneinsatz in der Lage sind. Die dienstleistungsfähigen Verbrauchergruppen erwarten individuelle Botschaften, die ihre soziale und ökonomische Situation reflektieren. Diese können nur durch Vernetzung geboten werden, die den gesamten Prozess bewerkstelligen, anstelle parallel nebeneinander herzulaufen. Durch neue Kooperationen müssen neue Formen der Effizienzsteigerung gefunden werden. Das Zeitalter der strategischen Allianzen ist angebrochen. Fachhandel und Fachhandwerk brauchen kritische Massen zur Durchsetzung lokaler bzw. regionaler Konzepte und zur Ausschöpfung vorhandener Marktpotentiale.

Um sich ein Stück des "qualitätsträchtigen Kuchens" zu sichern, muss die Verbraucheransprache für Objekt und Wohnen signifikant verbessert werden. Und das geht nur mit arbeitsteiligen Vorgehensweisen. Ebenso wird die konsequente Fokussierung auf tatsächlich vorhandene Marktpotentiale unabdingbar. "Upper Class" beim Wohnen und den Gesundheitsmarkt im Objekt, bieten hervorragende Chance, in strategischer Zusammenarbeit Umsatz und Erlös zu generieren. So stellt beispielsweise die Wettbewerbssituation unter den 120.000 Arztpraxen, 65.000 Zahnarztpraxen und mehr als 20.00 Apotheken ein interessantes Potential dar - lokal und regional - das es gemeinsam anzugehen gilt.

Wohlfühlfaktor Teppichboden
Der Wandel in der Gesellschaft wird die Ansprüche an das Wohnen, die Innenausstattung generell verändern. Die Menschen verteilen ihre Aufgaben. Wohlfühlen, Sicherheit und Individualisierung sind Faktoren, die ein "Wiederentdecken" textiler Bodenbeläge forcieren wird. In einem insgesamt rückläufigen Bodenbelagsmarkt werden diese daher insbesondere im Objekt ihren dominierenden Marktanteil weiterhin behaupten. Und was die Kaufunlust der Konsumenten anbetrifft, sind wir bei Bodenbelägen an einem Punkt angekommen, der kaum mehr unterschritten werden kann.

Öffentlicher Raum darf hinter dem privaten nicht mehr zurückstehen. Denn wer beispielsweise als Patient zahlt, darf auch ein ansprechendes Ambiente erwarten. Gesundheitseinrichtungen bekommen hotelmäßigen Charakter. Das wird ebenfalls den Trend zu Teppichboden beeinflussen. Geräusch- und schalldämmend, tritt- und gehsicher, warm und wohnlich entspricht er den Wünschen nach Atmosphäre, Emotion und Sicherheit. Hinzu kommt, dass gerade die Generation der Baby-Boomer, die jahrelang in einer kühlen, glatten Atmosphäre gelebt hat, zum Wohlfühlfaktor zurückfindet und ihre Wellness-Welt zukünftig wohnlicher wünscht.
aus BTH Heimtex 09/04 (Großhandel)