Mobilität beim Shopping: Überschätzen Händler die Rolle des Autos?

Potsdam. Wie wichtig sind Parkflächen in den Innenstädten? Viele stationäre Händler fürchten einen Rückgang ihrer Umsätze, wenn der Platz zum Abstellen privater PKW reduziert wird. Zu Recht?

Eine aktuelle Umfrage des Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies IASS in Berlin zeigt, dass das Mobilitätsverhalten nicht immer richtig eingeschätzt wird. Die IASS-Forschenden befragten rund 2.000 Kundinnen und Kunden sowie 145 Einzelhändler an Einkaufsstraßen in den Berliner Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln. Die große Mehrheit der Einkaufenden (93 Prozent) hatte ihr Shopping-Ziel nicht mit dem Auto erreicht. 91 Prozent des Geldes, das die Kundinnen und Kunden in den lokalen Geschäften ließen, kam aus dem Geldbeutel derjenigen, die zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem ÖPNV unterwegs waren. Diejenigen, die zum Einkaufen mit dem Auto in die Stadt fahren, waren also nur für 9 Prozent der Umsätze verantwortlich.

"Dieser Befund kommt keineswegs überraschend", sagt IASS-Wissenschaftler Dirk von Schneidemesser. Er decke sich mit Studien, die 2019 über die Innenstädte von Offenbach, Gera, Erfurt, Weimar und Leipzig erschienen sind. "Auch die Forschung über Mobilität und lokale Wirtschaft aus anderen europäischen Ländern, aus Nordamerika und Australien spiegeln die gleichen Erkenntnisse wider". Händlerinnen und Händler in den untersuchten Städten überschätzten den Anteil ihrer Kundinnen und Kunden, die mit dem Auto kommen - so auch in Berlin, wo sie ihn bei 22 Prozent vermuteten, er tatsächlich aber nur bei 7 Prozent liegt.

Die Fehleinschätzung, so von Schneidemesser weiter, könne damit zusammenhängen, dass die Händlerinnen und Händler von sich auf andere schlössen. So schätzten Händler, die selbst mit dem Auto zu ihrem Geschäft fahren, die Nutzung des Autos durch ihre Kunden auf 29 Prozent und damit viel höher als Händler, die andere Verkehrsmittel nutzen (10 bis 19 Prozent).

Natürlich gelten in einer Großstadt wie Berlin mit einem eng getakteten ÖPNV andere Regeln als in kleineren Städten oder ländlicheren Regionen, wo nicht nur die Wege länger, sondern der ÖPNV wesentlich dünner aufgestellt sei, schränkt auch der IASS-Wissenschaftler ein. Trotzdem mache die Umfrage einen Trend sichtbar: "Die Ergebnisse stehen im Einklang mit einer wachsenden Anzahl an Studien, die nahelegen, dass eine verbesserte Infrastruktur für aktive Mobilität - also zu Fuß gehen, Rad fahren, den ÖPNV nutzen - wahrscheinlich der lokalen Wirtschaft zugutekommt", so Dirk von Schneidemesser. Organisierte Wirtschaftsverbände sollten sie daher im Sinne einer Verkehrswende nutzen, bei der auch die Interessen der lokalen Wirtschaft berücksichtigt werden.
aus Haustex 11/21 (Handel)