Jürg Bernegger über Zukunftsperspektiven des Großhandels aus Schweizer Sicht

"Wir bringen unseren Kunden einen echten Mehrwert, den sie ohne unsere Großhandels-Funktion nicht generieren könnten"

Den Schweizer Bodenbelagsmarkt teilen sich eine Handvoll Grossisten, von denen Belcolor mit Stammsitz in St. Gallen einer der führenden ist. Das Unternehmen bedient rund 1.800 Kunden mit einem Vollsortiment an Bodenbelägen und ist auch im Objektgeschäft aktiv. Seit 1999 gehört Belcolor zur britischen Headlam-Gruppe. Geschäftsführer Jürg Bernegger legte in seinem Vortrag ohne Berührungsängste Strategie und Erfolgsrezept seines Hauses offen - versäumte dabei auch nicht, darauf hinzuweisen, dass Headlam bei seinen Tochtergesellschaften auf "hohe Ertragskraft" und ein "stabiles Management" achtet... Insgesamt hält BTH Heimtex Berneggers Ausführungen für so bemerkenswert, dass wir sie hier im Original-Wortlaut veröffentlichen.

Allgemeine Rahmenbedingungen

Damit wir in der Beurteilung alle vom Gleichen ausgehen, gilt es, zuerst die relevanten Rahmenbedingungen aufzuzeigen.

- Die Wirtschaft hat in den letzten Jahren stagniert, auch wenn sich jetzt eine gewisse Erholung abzeichnet.

- Die Marktsättigung ist längst erreicht. Das Überangebot hat in der Konsequenz entweder zu einem Innovations- oder zu einem reinen Verdrängungswettbewerb geführt.

- Die Unberechenbarkeit des Konsumenten nimmt weiter zu: Wir leben in einer Multioptionsgesellschaft (morgens Aldi, abends Bogner).

- Im Kundenkreis des Grosshandels haben sich massive Strukturveränderungen ergeben: Die grösseren, gut organisierten FachhandelsBetriebe gewinnen Marktanteile. Die Zahl der mittelgrossen Betriebe reduziert sich weiter. Die kleinen, typischen 1-2-Mann-Betriebe arbeiten vermehrt als Sub-Unternehmer und im Dienstleistungsbereich für die expandierenden Grossflächen und Anbieter aus dem DIY-Bereich.

- Die Wertschöpfungskette steht unter Druck, jeder liefert jedem: die Fabrikanten ins Objekt, der Holzhandel direkt an den Konsumenten.

- Die Generalbauuntemehmer und zunehmend auch die "Häuslebauer" nutzen die Situation aus. Sie wollen die Ware direkt beziehen, ungeachtet der dadurch wegfallenden Gewährleistungen.

- Der gut organisierte Fachhandel berät den Konsumenten, gekauft wird beim Billigsten oder im Baumarkt.

- Die Einkaufsgruppen tendieren zur Gleichstellung ihrer Mitglieder. Dies führt dazu, dass der Kleinabnehmer zu tiefe Preise erhält. Das Resultat ist eine Preisnivellierung an immer breiterer Front und bis zu den untersten Stufen.

Spezielle Rahmenbedingungen in der Schweiz

Soweit zu den Rahmenbedingungen, denen Sie in Deutschland und wir in der Schweiz gleichermassen ausgesetzt sind. Abweichungen zwischen unseren beiden Märkten ergeben sich in folgenden Bereichen:

- Unser Heim-Markt ist ca. 12 x kleiner als der Ihrige (7 Mio. Einwohner stehen 85 Mio. gegenüber).

- In Deutschland beschäftigen sich ca. 250 Grosshandels-Firmen mit dem Vertrieb von Bodenbelägen und Parkett. In der Schweiz sind es etwa 25.

- Die Schweiz ist viersprachig, entsprechend fragmentiert und unterschiedlich ist die Nachfrage.

- Wir Schweizer sind ein Volk von Mietern. Rund 65% wohnen in Mietobjekten. Hier bestimmt weitestgehend der Vermieter, welche Bodenbeläge verlegt werden.

- Der Anteil des Fachhandels am Gesamtmarkt ist ungebrochen hoch. Der DIY und die Grossfläche konnten sich, zumindest im Bodenbelagsmarkt, noch nicht im selben Ausmass durchsetzen, wie dies in Deutschland und Österreich der Fall ist. Gründe dürften die generell längeren Wochenarbeitszeiten und niedrigeren Einkommens und Mehrwertsteuersätze sein. Längere Arbeitszeiten schmälern die Zeit für DIY-Tätigkeiten, und tiefere Steuersätze reduzieren
die Einsparmöglichkeiten durch schwarzarbeitsähnliche Aktivitäten.

All dies lässt erkennen, dass des Nachbars Wiese nicht unbedingt grüner ist. Sie mag einzig von ein paar Blumen mehr durchsetzt sein. Aber letztlich sitzen wir im gleichen Boot. Wir alle wollen Geld verdienen mit dem was wir tun und - nach Möglichkeit - auch noch Spass haben dabei.

Kommen wir nun zum eigentlichen Schwerpunkt meiner Ausführungen: den Zukunftsperspektiven des Grosshandels aus Schweizer Sicht. Gegliedert habe ich diese nach den unternehmens-strategischen "Do"s and Dont"s", so wie wir sie bei der Belcolor verstehen.

Leistungsabhängiges Lohn- und Bonussystem für die Mitarbeiter

Zuerst zu den Internas, d.h. jenen Faktoren, die wir jederzeit selber und direkt beeinflussen können.

So wie der Kunde, bei allem was wir tun, im Zentrum unserer Anstrengungen steht, ist es der leistungswillige Mitarbeiter, welcher jedes erfolgreiche Unternehmen prägt. Deshalb nehmen bei uns die Personalrekrutierung und die Pflege des branchenspezifischen Know-hows eine zentrale Rolle ein. Mitarbeiterfluktuationen vermeiden wir wie der Teufel das Weihwasser.

Die Vorgabe klarer Unternehmens- und Bereichsziele, quantitativer und qualitativer Art, geht bei uns einher mit dem Budgetprozess. Eine grosse Hilfe dabei stellt das prozessorientierte Qualitäts-Management-System nach SQS 9001 dar. Dieses haben wir im Jahre 1996 - mit sehr geringen externen Kosten - implementiert, was zu einer wesentlichen Verbesserung der Transparenz geführt hat - eine Transparenz, die mit der Aufschaltung der zentral entwickelten Betriebssoftware von Headlam weiter ausgebaut wurde (real time monitoring).

Schon seit vielen Jahren gilt bei uns ein leistungsabhängiges Lohn- und Bonussystem für alle Mitarbeiter. Je grösser die Verantwortung, desto höher der Anteil des flexiblen, leistungsabhängigen Lohnes. So liegt der flexible Lohnanteil auf Stufe GL und Verkaufsleitung bei 30%, beim Aussendienst bei 25 % und bei allen anderen Mitarbeitern zwischen 15 und 20%. Selbst unsere Chauffeure arbeiten nach einem flexiblen Lohnsystem, welches Faktoren wie die Kundenfreundlichkeit, die pünktliche Anlieferung, das unfallfreie Fahren usw. als Bestimmungs-Grösse enthält. Entscheidend bei der Festlegung des Bonus sind nebst dem Zielerreichungsgrad, bei den persönlich pro Mitarbeiter festgelegten Zielen, immer die beiden Faktoren:

1. Gesamterfolg der Firma
2. Beitrag eines jeden einzelnen an den Gesamterfolg.

Papierlose Auftragsbearbeitung

Für jeden unserer Mitarbeiter gilt als erste Priorität die Beherrschung der Arbeitsabläufe. Diese beruhen auf dem zertifizierten Qualitäts-Management-System. Die Auftragsbearbeitung erfolgt grösstenteils online und papierlos. Ferner steht ein Barcode- sowie ein elektronisches Order Tracking-System zur Verfügung. Handzettel sind weitgehend verschwunden. Auch die Mitarbeiter im Betrieb benutzen mehrheitlich elektronische Hilfsmittel.

Den Gefahren der phantasielosen Standardisierung von Abläufen begegnen wir dadurch, dass wir offen sind gegenüber Innovationen. Wir orientieren uns im Konzern, aber auch ausserhalb unserer Branche, an neuen Arbeitsmethoden und -abläufen. So kamen beim Bau unseres Hochregal-Lagers Systeme zum Einsatz, wie sie heute in der Nahrungsmittelindustrie "state of the art" sind.

Schulden nur kurzfristig und bei garantiertem Pay Back

Wir tun alles, um das Lager und Anlagevermögen zu reduzieren. Die Investitionen sollen einen möglichst kurzen Mittelrückfluss garantieren, je nach Vorgabe und Investitionsart 2 bis maximal 5 Jahre.

Nicht erst Basel 11 hat uns gelehrt, Fremdkapital abzubauen. Schulden machen wir nur bei garantiertem Pay Back. Wir versuchen, möglichst keine langfristigen Verpflichtungen einzugehen, lösen solche auf und wandeln sie in kurzfristige um. Auch unsere Anstellungsbedingungen sehen im besten Fall eine 3-monatige Kündigungsfrist vor.

Konzentration auf Markenartikel und Hochwertproudkte

Bei der Vermarktung stehen Markenprodukte im Vordergrund. No Name-Produkte oder reine Aktionsartikel finden Sie bei uns nur im Ausnahmefall. Wir fahren eine duale Markenstrategie, indem wir ausgewählte Hersteller-Marken mit der Dienstleistungsmarke Belcolor verbinden. Wir sind zwar Vollsortimenter, die Sortimentstiefe steht bei uns aber im Vordergrund.

Noch mehr als bisher konzentrieren wir uns auf wenige Hersteller und vermeiden damit das Führen von substituierenden Produkten im Angebot. 95% unseres Umsatzes ist lagerbewegend. Das Kommissionsgeschäft spielt für uns höchstens unter dem Titel: "Kundenbindung bei unseren Leithändlern" oder aber im Objektgeschäft eine Rolle. Wir pflegen das High Value Segment, d.h. den Verkauf hochwertiger, wertschöpfungsintensiver Produkte. Dies vor allem auch zum Wohl unserer Kunden.

Jede unserer Dienstleistungen richten wir auf den Kunden aus und fragen uns bei allem, was wir tun, welchen Nutzen unser Kunde daraus hat. Für austauschbare Leistungen halten wir den Servicegrad tief oder verkaufen diesen als Mehrleistung. Konsequenterweise verrechnen wir Kleinmengenzuschläge dort, wo ein Mehraufwand entsteht. Bezahlt werden müssen bei uns die Verpackung sowie staatliche Abgaben, wie die Schwerverkehrsabgabe (LSVA). Alle Dienstleistungen in den Grundpreis einzurechnen, halten wir für mehr als gefährlich.

Kundenselektion: Chronisch Unzufriedene und Gleichgültige werden nicht bedient

Zu den Externas: Wie bereits mehrmals erwähnt, hat bei uns die Zufiiedenstellung der Bedürfnisse unserer Kunden und Partner erste Priorität. Wir testen deren Zufriedenheit regelmässig. Die Bedienung von chronisch unzufriedenen Kunden oder von gleichgültigen Kunden lassen wir sein: Sie verursachen nur hohe Kosten und Umtriebe.Gefördert wird die Kundenbindung durch regelmässige Kunden-Events, Schulungen, vor allem aber durch die Schaffung transparenter Preis- und KonditionenSysteme, welche dem bedeutenden Partner klare Vorteile verschaffen. In vielen Bereichen kennen wir die gläserne Kalkulation, welche uns insbesondere bei der Pflege unserer Verbindungen zu Einkaufsgruppen viel Goodwill gebracht hat.

Budgetverantwortung gegenüber den wichtigsten Lieferanten

So wie wir die Kontakte zu unseren Kunden und Partnern pflegen, so wichtig sind für uns auch die Beziehungen zu unseren Lieferanten. Gegenüber unseren wichtigsten Lieferanten übernehmen wir eine Budgetverantwortung.

Den Markt selbst bearbeiten wir auf zwei Ebenen: einerseits auf der Ebene des Fachhandels und andererseits im Objekt. Die beiden Aktivitäten werden vemetzt, zu Gunsten des Fachhandels und der Industrie.

Unsere Partner unterstützen wir in verlegetechnischen Fragen durch unsere technische Abteilung und durch unser Product Management, bei welchem die Verantwortung für die einzelnen Produktebereiche klar definiert ist.

Fremdtransporte nur im Ausnahmefall

Fremdtransporte gibt es bei uns nur im Ausnahmefall. Unsere Kunden werden in aller Regel auf den Hauptachsen Ost/West und Nord/Süd innerhalb von 24 Stunden bedient. Das heisst: Eine Bestellung, welche bei uns vor 16.00 h eintrifft, wird am folgenden Tag mit unseren eigenen Lkws ausgeliefert. Nur in den Seitentälern und in abgelegenen Berggebieten erfolgt die Lieferung an vorbestinunten Tagen, zwei bis dreimal die Woche. Wir fahren mit Lkws von 12 t bis 16 t Ladegewicht und verwenden Lieferwagen im regionalen Bereich. Die Tatsache, dass wir uns auf eigene Lkws und LKW-Fahrer abstützen können, führt dazu, dass wir über Hunderte von Schlüsseln der Lager und Magazine unserer Kunden verfügen, in welchen unsere Fahrer die Ware deponieren. Dieses System erlaubt uns des weitem den ständigen Ausbau kommissionierter Lieferungen, getreu unserem Leitsatz: "Alles aus einer Hand".

Zunehmende Bedeutung erlangt die Kundenfinanzierung und das Kreditmanagement. Ziel ist hier die kundenfreundliche Umsetzung von Basel II. Was nichts anderes heisst, als dass wir vermehrt eine Bankenfunktion übernehmen. Ob und wie wir diese zu einem späteren Zeitpunkt "outsourcen" oder als Paket anbieten, ist noch offen. Wir sprechen aber darüber.

Ständige Leistungskontrolle durch Benchmark-Studien

Last, but not least überwachen wir unsere eigene Leistungserbringung mittels verschiedener Benchmark-Studien. Einerseits innerhalb des Konzerns, andererseits mit den Mitgliedern der Homedecor-Gruppe, in Teilbereichen mit den Mitgliedern des schweizerischen Grosshandelsverbandes sowie mit unseren beiden Hausbanken im Rahmen der alljährlich stattfindenden Rating-Verfahren.

Es ist mir durchaus bewusst, dass jedes Unternehmen eine eigene Gewichtung seiner Leistungen vornehmen muss. Das Stärken/Schwächen-Profil variiert zum Glück stark, was wiederum eine individuelle Fokussierung auf die eigenen Erfolgsfaktoren und damit eine Marktprofilierung erlaubt. Patentrezepte gibt es keine, wie wir alle wissen.

Eine feste Grösse im Grosshandel ist jedoch die Produktivität. Diese Kennziffer ist es denn auch, welche einen zentralen Faktor bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Erfolgs der einzelnen Firmen innerhalb der Headlam Gruppe bildet. Weitere Kennziffern sind EBIT (eamings before interest and taxes) und ROE (return on equity).

Noch ein Wort zur Strategie der Headlam Gruppe als solches. Selbstgeneriertes Wachstum steht an erster Stelle. Das Wachstum durch Zukauf neuer Unternehmen an zweiter. Als erfolgreiches, börsenkotiertes Unternehmen kennen wir allerdings die Problematik, dass wir im Grundsatz nur Firmen übernehmen können, die sich durch eine hohe Ertragskraft und ein stabiles Management auszeichnen. Dies wegen einer allfälligen "Gewinnverwässerung" oder in Neudeutsch "Dilution of profits", was zu empfindlichen Einbußen beim Aktienkurs führen kann. Eclypse lässt grüssen...Eclypse ist eine Firma, welche Sonnenschutz-Anlagen und technische Vorhänge herstellt. Headlam hat diese Firma in den 90er-Jahren gekauft und sich damit tüchtig die Finger verbrannt. Grund für den Misserfolg waren mangelnde Management-Kapazitäten und fehlendes Management-Know-How.

Laufend neue Möglichkeiten prüfen

Ungeachtet der vorgängig erwähnten strategischen Ausrichtung überprüfen wir laufend die Möglichkeit, in neue Geschäftsfelder vorzustossen und neue Kundensegmente zu erschliessen. Dies allerdings immer unter der Voraussetzung, dass wir unserer Kernkompetenz, dem Grosshandel mit Bodenbelägen, treu bleiben.

Ich meine, dass wir mit den aufgezählten Leistungen unseren Kunden einen echten Mehrwert bringen, den sie ohne unsere Grosshandels-Funktion nicht generieren könnten. Deshalb bin ich überzeugt, dass die Zukunftsperspektiven unseres Grosshandels-Unternehmens gut aussehen. Mit der Integration in die Headlam-Gruppe profitieren wir zudem von den Vorteilen einer grossen Unternehmensgruppe, wodurch wir unsere Wettbewerbsstärke verbessern konnten, und zwar sowohl bezüglich Kosten wie auch bezüglich der notwendigen Innovationskraft.
aus BTH Heimtex 11/04 (Großhandel)